Aus der Sammelschrift „Hoffen auf das Wunder. meine Begegnungen mit Palästinensern, Israelis und Deutschen“ von Ekkehart Drost
Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München
von Judith Bernstein1
Im Sommer 2013 erschien von Ekkehart Drost die Sammelschrift
„Hoffen auf das Wunder. Meine Begegnungen mit Palästinensern, Israelis und Deutschen“. Darin lässt der Autor und Herausgeber nach seinen mehrmonatigen Aufenthalten in der Westbank als Freiwilliger des „Ökumenisches Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI)“ eigene Erfahrungen und die zahlreicher Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Israel und aus den palästinensischen Gebieten zu Wort kommen. Entstanden ist ein Buch, das die Leserinnen und Leser in die Komplexität des israelisch- palästinensischen Konflikts einführt und sich davor hütet, die üblichen vorschnellen Regelungen oder gar Lösungen anzubieten2.
Im Jahre 1985 sendete der Bayerische Rundfunk (BR) in München einen Film über einen Palästinenser und eine Israelin. Das damals in München wohnende Ehepaar Jules und Larissa Gruszow3, belgische Holocaust-Überlebende, sah den Film, wandte sich an die Redaktion
1 http://www.judith-bernstein.de/pdf/veroeffentlichung/B-Drost_13.pdf.
2 Ekkehart Drost: Hoffen auf das Wunder. Meine Begegnungen mit Palästinensern, Israelis und Deutschen. Gabriele Schäfer Verlag: Herne 2013. Beiträge zur internationalen Politik, Band 4. Mitgearbeitet haben außer mir Dagmar Quentin, Kim Wessel, Shir Hever, Nomika Zion, Daoud Nasser, Eid Abu Khamis, Abu Hassan, Rifat Odeh Kassis, Leon Wieseltier, Jeff Halper, Sari Nusseibeh, Miko Peled, Gershom Gorenberg, Uri Avnery und mehrere Friedensgruppen. Bestellungen über den Verlag oder direkt beim Autor unter e1944Drost@gmx.de.
3 Die dramatische Geschichte der Eltern kann man nachlesen in einem Interview, das Larissa Gruszow dem „Continuité de l´Union des Anciens Résistants Juif de Belgique“ gab: http://www.continuitedeluarjb.org/spip.php?article18. Ihr Vater, Efraïm Wuzek, und ihre Mutter, Hannah Klejman, waren aus Polen nach Palästina ausgewandert, Larissa wurde im Jahr 1935 in Tel Aviv geboren. Die Eltern wurden von der englischen Mandatsmacht wegen ihrer Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei aus Palästina ausgewiesen. Nach einer längeren Odyssee in Frankreich wurde die Mutter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
des BR und bat um ein Treffen mit der Israelin. Versehentlich schickte der Sender den 1951 im Flüchtlingslager Qalandia geborenen Palästinenser Fuad Hamdan4 zu ihnen. Diese Begegnung hatte wahrhaft nachhaltige Konsequenzen, denn sie führte letztlich zur Gründung der ersten und einzig noch existierenden Palästinensisch-Jüdischen Dialoggruppe in Deutschland5.
Fuad blieb den ganzen Tag über bei den Gruszows, erzählte seine Geschichte und hörte vom grausamen Schicksal seiner Gastgeber. Unbewusst nahmen sie in ihrer Begegnung das vorweg, was Wissenschaftler wie der israelische Psychoanalytiker Dan Bar-On als narrative Methode bezeichneten: Nur wenn ich den Anderen in mir erkenne und akzeptiere, gibt es einen Weg zur Verständigung.
Judith Bernstein, die jüdische Sprecherin der Dialoggruppe, stieß 1991 nach dem zweiten Golfkrieg zur Gruppe. Geboren in Jerusalem, kam sie in den 60er Jahren zum ersten Mal als Stipendiatin nach Deutschland. Sie studierte Sprachen und fand 1969 ihre erste Anstellung beim israelischen Konsulat in München, zog wieder nach Israel und kam schließlich Ende 1976 endgültig nach Deutschland.
Über ihre Gruppe erzählt Judith: „Wir nehmen nur Palästinenser und Juden auf, die in Deutschland leben, denn wir wollen die Diskussion über den Konflikt zwischen Israel und Palästina und nicht über die deutsch-jüdische Geschichte in den Vordergrund stellen. Wir sind natürlich nicht immer einer Meinung. Das war zum Beispiel beim Beginn des Prozesses der Osloer Vereinbarungen 1993 der Fall, als der jüdische Teil unserer Gruppe die Verhandlungen mit großem Optimismus begleitete, die Palästinenser ihn aber ablehnten.“ Judith fügt hinzu: „Und leider haben sie ja Recht behalten.“
4 http://www.fuad-hamdan.de/index.php/zur-person.
Zum Kern der Gruppe gehören etwa zehn Personen, die sich einmal monatlich treffen, über die politische Lage diskutieren und Veranstaltungen planen, in denen die Öffentlichkeit über Fragen des Nahost-Konflikts informiert wird. Die Dialoggruppe finanziert sich aus den Mitgliedsbeiträgen. Lediglich bei den Veranstaltungen erfährt sie finanzielle Unterstützung durch die Petra-Kelly-Stiftung, die Rosa- Luxemburg-Stiftung und die Evangelische Stadtakademie München, wodurch renommierte Autoren, Historiker, Friedensaktivisten und Politiker wie Azmi Bishara, Moshe Zuckermann, Moshe Zimmermann, Roni Hammermann, Gadi Algazi und der Jerusalemer Stadtrat Meir Margalit nach München eingeladen werden konnten. Im September 2013 steht der palästinensisch-israelische Bestsellerautor Sayed Kashua auf der Einladungsliste. Die Veranstaltungen bieten auch die Möglichkeit, Spenden für bedürftige Palästinenser und palästinensische Organisationen einzusammeln.
Alle zwei Jahre im Januar wendet sich die Gruppe zusammen mit der „Filmstadt München“ an das interessierte Publikum. Ende Januar 2012 wurde der bekannte palästinensisch-israelische Schauspieler und Filmemacher Mohammad Bakri eingeladen. Auch der für den
„Oscar“ nominierte Film „5 Broken Cameras“ von Emad Burnat und Guy Davidi wurde gezeigt. Der palästinensische Filmemacher Mohammed Alatar, wurde von der Dialoggruppe mehrfach eingeladen. Sein Film „Jerusalem: The East Side Story“ wurde mit großer Resonanz in neun deutschen Städten gezeigt. Im Augenblick bemüht sich Judith Bernstein, für das neue Filmprojekt von Mohammed Alatar Sponsoren zu finden: Er plant eine Dokumentation über die Rezeption des Holocaust in der arabischen Welt. „Von potentiellen Geldgebern ist das Projekt zwar besonders gelobt worden“, so Judith Bernstein, „aber leider hat sich das Interesse bislang noch nicht ausgezahlt.“
Judith fährt mehrmals im Jahr zusammen mit ihrem Mann Reiner nach Israel und in die Besetzten Gebiete. Gelegentlich führen sie auch Reisegruppen. Nach ihrem Besuch im Frühjahr 2013 zog sie ein überaus pessimistisches Resümee über die Situation im Land6. Auf der großen Friedenskundgebung anlässlich des israelischen Unabhängigkeitstages am 15. April 2013 in Jerusalem gab ihr die Anwesenheit zahlreicher Friedensaktivisten wie Reuven Moskowitz, Arik Ascherman und Roni Hammermann ein wenig Optimismus.
In den letzten Emails und Gesprächen mit dem Autor überwiegt ihre Traurigkeit: „Ich bin noch nie so desillusioniert zurückgekehrt. Die Hoffnungslosigkeit auf palästinensischer Seite und unter den Friedensgruppen in Israel war noch nie so stark zu spüren. Mit der politischen Unterstützung seitens der Europäer (ganz zu schweigen von jener der Amerikaner) rechnet niemand mehr. Zwar lässt die finanzielle Unterstützung, auch aus Deutschland, für die Basisarbeit zahlreicher NGOs und der Kirchen nicht zu wünschen übrig, doch eine politische Lösung kann sie nicht ersetzen. Schon heute ist die Gefahr erkennbar, dass die Palästinenser zu Bittstellern gemacht werden.“
Vielen Menschen, die für einen längeren Zeitraum die Besetzten Gebiete besuchen, fällt immer wieder die für uns kaum nachvollziehbare Duldsamkeit, Friedfertigkeit, Lebensfreude und Beharrlichkeit der Palästinenser auf.
Judith Bernstein sagt darüber: „Im Laufe meiner Gespräche hörte ich von Palästinensern immer wieder das Wort „Sumud“ – standhaft bleiben, durchhalten. Trotz der Okkupation mit ihren Spuren im täglichen Leben der Bevölkerung erscheint die palästinensische Gesellschaft nach außen hin stark und den Israelis moralisch weit überlegen. Auch merkt sie, dass die Sympathien in der westlichen
6 http://www.journal21.ch/frieden-ade.
Welt ihnen gehören. Und vielleicht ist es die Überzeugung, dass sie nach den Kreuzrittern, den Osmanen und den Briten eines Tages auch die Israelis überleben werden. Ein trauriger Gedanke, der mittlerweile von vielen Israelis geteilt wird: ‚Uns wird es bald nicht mehr geben.‘ Liegt dies im Interesse Europas?“
Auf meine Frage, warum sie dennoch weiterhin einen großen Teil ihres Lebens der Palästina-Israel-Problematik widmet und wo sie einen Ansatzpunkt für neue Hoffnung sieht, antwortet Judith: „Wir können unsere Freunde auf der palästinensischen und israelischen Seite, die wirklich an einen Frieden glauben, nicht alleine lassen.
Zusammen mit meinem Mann arbeite ich daran, Politiker zu erreichen. Wir sind oft in Berlin und sprechen mit politisch Verantwortlichen. Wir wissen aus unseren Gesprächen, dass sie über die Situation in den Besetzten Gebieten bestens informiert sind. Bei einem unserer Gespräche lag sogar das Buch von Breaking The Silence auf dem Tisch.
Warum kann die Regierung nicht endlich den Schritt tun und auf die eklatante und ihnen ja längst bekannte Verletzung der Menschenrechte durch Israel hinweisen? Mein Mann hatte mal auf seiner Website7 alle Äußerungen von Angela Merkel zu diesem Thema zusammen getragen: Es zeigt, wie gut sie informiert ist.
Warum verhält sich die deutsche Regierung so wie sie es tut? Es kann doch nicht allein der Holocaust sein. Die deutsche Politik schadet Israel.“ Es kann doch nicht allein am Holocaust liegen. Die deutsche Politik schadet Israel.“