Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe

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Schreiben an Oberbürgermeister Dieter Reiter, 19.12.2017

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,

leider haben Sie mir keine Gelegenheit gegeben, dass ich mich mündlich zu einem Thema äußern kann, das für mich als Tochter deutsch-jüdischer Eltern, denen die Flucht nach Palästina glückte, existentiell ist.

Mit dem Antrag „Gegen jeden Antisemitismus – Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung“ hat der Stadtrat am 13. Dezember gehofft, ein Zeichen gegen den Antisemitismus zu setzen. Das Ergebnis ist genau umgekehrt: Der Beschluss schürt eher antijüdische Ressentiments. Nicht erst seit dem Stadtratsbeschluss lässt sich eine aggressive Stimmung beobachten, wenn es um den israelisch-palästinensischen Konflikt geht. Deshalb habe ich mehrfach versucht, Herrn Stadtrat Marian Offman klarzumachen, dass ein Verbot wie jenes vom 13. Dezember auf alle hier lebenden Juden zurückschlägt.

Der Antisemitismus ist kein neues Phänomen. Kritische Äußerungen zur israelischen Politik müssen aber möglich sein, ohne dass sie von vornherein in den Verdacht einer antijüdischen Gesinnung geraten. Der Vergleich mit dem 01. April 1933 ist abwegig. Damals sollten alle Juden boykottiert und aus dem „deutschen Volkskörper ausgeschieden“ werden. Heute geht es um die Politik einer Regierung, die dem palästinensischen Volk die politische Unabhängigkeit verweigert.

Das Münchner Verbot will nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich viele Israelis um die Zukunft Israels als Demokratie und Rechtsstaat sorgen. Am Wochenende hat die EU-Kommission beklagt, dass 8.000 Wohneinheiten allein im ersten Halbjahr 2017 für jüdische Staatsbürger in Ost-Jerusalem und in der Westbank gebaut worden sind. Eine solche Entscheidung fördert bei uns Empfindungen, dass sich die israelische Regierung nicht an das humanitäre Völkerrecht gebunden fühlt.

Bei vielen Münchnerinnen und Münchnern ist der Eindruck entstanden, dass nicht Sie als Oberbürgermeister, sondern Frau Dr. Charlotte Knobloch hinter dem Verbot steht. Deshalb bitte ich Sie sehr, dass der Beschluss zumindest überprüft wird.

In der Anlage sende ich Ihnen meinen Vortrag zu meiner Geburtsstadt Jerusalem. Zu meinem Erschrecken wurde er erst nach einer Einstweiligen Verfügung im Gasteig möglich. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich mich engagiere. Ich möchte in einer toleranten und friedvollen Stadt leben sowie meiner Tochter und ihren Kindern das Gefühl der Geborgenheit vermitteln.

Mit freundlichen Grüßen

Judith Bernstein