"Keine Zensur in städtischen Räumen", Pressegespräch am 04.12.2017
Als Dialoggruppe unterstützen wir Friedensinitiativen und -gruppen in Israel und Palästina und organisieren Veranstaltungen, zu denen wir u. a. israelische und palästinensische Gäste einladen, um so durch Information der Öffentlichkeit zum besseren Verständnis des Konflikts beizutragen. Mit unserer Arbeit wollen wir erreichen, dass es zu einer Verständigung und einem dauerhaften und gerechten Frieden zwischen beiden Völkern kommt. Beides ist vom Ende der Besatzung und von der rechtlichen Gleichstellung der Palästinenser in Israel und Palästina abhängig.
Die Diskussion in München um die gewaltlose Widerstandskampagne BDS gegen die Besatzung begann bereits im November 2015. Wir hatten seinerzeit versucht, die Öffentlichkeit über den Inhalt und die Hintergründe der BDS-Kampagne zu informieren, deren Wirkung auf das Versagen der Politik zurückzuführen ist. Schon im Vorfeld dieser Veranstaltung war BDS pauschal mit dem Naziaufruf "Kauft nicht bei Juden" gleichgesetzt worden. Dieser Vergleich bedeutet eine Verharmlosung des Holocaust. Denn die Juden wurden damals boykottiert, nur weil sie Juden waren - dagegen konnten sie nichts unternehmen. Israel aber kann die Besatzung beenden. Damit hätte sich jeder Boykott erübrigt. Die Kampagne richtet sich gegen die Besatzungspolitik und nicht gegen die Existenz des Staates Israel.
Der momentane Kampf gegen die BDS-Kampagne ist ein Ablenkungsmanöver, um jede kritische Auseinandersetzung mit der Politik der israelischen Regierung zu unterbinden. Damit wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Keiner ist verpflichtet, diese Kampagne zu unterstützen. Aber es muss in einer demokratischen Gesellschaft die Möglichkeit geben, darüber zu debattieren. Während wir hier diskutieren, ob BDS antisemitisch ist, setzt die israelische Regierung ihre Annexionspolitik ungestört fort.
Haben sich die Antragsteller jemals in der Westbank, in Ost-Jerusalem, an den Checkpoints und an den sogenannten Trennungsmauern, von Gaza ganz zu schweigen, einen eigenen Eindruck von der Lage vor Ort verschafft?
Den Antragstellern ist wenigstens ein regelmäßiger Blick in die Berichterstattung in der SZ zu empfehlen. Das gilt auch für Redakteure, die anscheinend die Berichterstattung ihrer Korrespondenten nicht lesen. So hat die SZ, von wenigen Tagen, am 29. November ausführlich über die Schikanen berichtet, denen palästinensische Kinder durch die jüdischen Siedler und die israelische Armee tagtäglich ausgesetzt sind. Auch der Dialoggruppe geht es in erste Linie um die Einhaltung der Menschenrechte.
Die Antragsteller argumentieren mit einem Sammelsurium von Urteilen, Zitaten und Internet-Verweisen und vermeiden einen Bezug zu den von ihnen beschuldigten Veranstaltungen. Verbote wie die im Stadtrat eingebrachten schüren antijüdische Ressentiments, weil sie den Eindruck erwecken, dass sogenannte „interessierte Kreise“ dahinterstecken. Dem Antrag mangelt es auch insofern an Professionalität und politischer Sorgfalt.
Beispielsweise ist die in dem Antrag zitierte „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ des „European Monitoring Center on Racism and Xenophobie (EUMC)“ – (heute unter dem Namen „Fundamental Rights Agency“, FRA, stehend) – im Dezember 2016 vom EU-Ministerrat mit der Begründung zurückgewiesen worden, sie lasse die „Grenzüberschreitungen zum Antisemitismus“ nicht erkennen.
Die Regierung unter Führung von Menachem Begin hat in den 1980er Jahren die „Grüne Linie“ aus allen öffentlichen Dokumenten (Gesetze, Verordnungen, statistische Jahrbücher, Landkarten, Schulbücher) entfernen lassen, damit die Unterscheidung zwischen den palästinensischen Gebieten und Israel in den Grenzen bis 1967 nicht länger erkennbar ist (Judäa und Samaria). Damit hat die israelische Politik die Forderung der BDS-Kampagne „Beendigung der israelischen Besatzung“ rechts überholt und jenen Kräften in der BDS-Kampagne in die Hände gespielt, die sich für den Boykott, den Entzug von Investitionen und für Sanktionen im gesamten von Israel beherrschten Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan einsetzen. Gegen die palästinensischen Staatsbürger Israels gibt es 28 Gesetze, die ihre bürgerliche Gleichberechtigung beschädigen.
Die Antragsteller sollten Farbe bekennen, ob sie hinter der Politik Benjamin Netanjahus stehen, die palästinensischen Gebiete (über Ost-Jerusalem hinaus!) Schritt für Schritt zu annektieren. Wollen sie sich wirklich zu Komplizen dieser Regierung machen? Und haben sie davon gehört, dass Staatspräsident Reuven Rivlin, mit dem ich zur Schule gegangen bin, als Verräter beschimpft wird, weil er für die palästinensische Bevölkerung nach der Annexion, die er befürwortet, dieselben Rechte fordert, die den jüdischen Staatsbürgern zustehen?
Ich fahre jedes Jahr nach Israel und Palästina, meine Tochter lebt in Tel Aviv. Auch aus Sorge um die Zukunft dieses Landes spreche ich über das Unrecht, das dort geschieht. Bin ich deshalb eine Antisemitin? Am Samstagabend haben Zehntausende Israelis gegen ihre korrupte Regierung demonstriert – sind alle Antisemiten?
Meine Eltern konnten dem Holocaust nur durch die Flucht nach Palästina entkommen. Ich distanziere mich auch deshalb mit Nachdruck von Vergleichen zwischen der NS-Vernichtungspolitik und der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Wir brauchen diese Vergleiche nicht, denn die Situation vor Ort ist auch so schlimm genug. Lassen wir also den Holocaust dort, wo er hingehört - nach Deutschland und Europa - und den israelisch-palästinensischen Konflikt im Nahen Osten.