Antisemitismus-Vorwürfe in Hamburg. Schreiben an Bischöfin Fehrs
Sehr geehrte Frau Bischöfin Fehrs,
als Jüdin, in Jerusalem geboren, wehre ich mich gegen die Behauptung, dass BDS antisemitisch sei. Ich kann gut nachvollziehen, dass man Angst um den wachsenden Antisemitismus in Deutschland hat - auch mir bereit dieser große Sorgen. Aber gerade das Einknicken mehrerer Institutionen schürt eher den Antisemitismus. Denn die Stimmung gegenüber Israel und den Juden hierzulande wird immer aggressiver. Viele Menschen können die doppelten Standards, wenn es um die Politik des Staates Israel geht, nicht nachvollziehen. Auch aus diesem Grund versuchen mein Mann und ich schon seit Jahren das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, die Besatzung zu beenden.
Auch kann ich verstehen, wenn Juden, Israel als ein Rückzugsgebiet betrachten, ich habe aber kein Verständnis, wenn Juden als eine Minderheit in Deutschland, die alle Rechte der Mehrheitsgesellschaft genießt, einen Staat unterstützt, der genau diese Rechte einem anderen Volk - den Palästinensern - vorenthält. Durch seine Politik schadet Israel nicht nur den Palästinensern, sondern der eigenen Bevölkerung und wird immer mehr zu einem unsicheren Ort für Juden
In den Augen vieler Menschen werden mittlerweile viele deutsche Institutionen, die bei jedem Antisemitismusvorwurf seitens der - wie es heißt - "Vertreter" des Staates Israel, nachgeben, zum Komplizen dieses Staates.
Im Vorfeld einer Veranstaltung zur BDS-kampagne in München hat Frau Knobloch den Vergleich mit dem Nazi-Slogan "Kauft nicht bei Juden“ gezogen. Dieser Vergleich verharmlost den Holocaust. „ Kauf nicht bei Juden“ war aus rassistischen Gründen gegen alle Juden gerichtet, ohne dass Juden etwas dagegen hätten unternehmen können. Hingegen richtet sich die BDS-Kampagne gegen die Politik der israelischen Regierung. Sobald diese die Besatzung beendet und die Palästinenser die gleichen Rechte wie die jüdischen Israelis sowohl in Israel als auch in Palästina genießen, würde auch die BDS-Kampagne beendet werden. Diese Bewegung geht auf das Versagen der Politik zurück, wenn die Politik tätig wäre, bräuchte man die BDS-Kampagne nicht. Und es sind nicht die Friedensgruppen, die Israel delegitimieren, sondern die eigene selbstzerstörerische Politik dieses Staates. Die Zensur seitens der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg wird als einen Angriff auf die eigene Demokratie gesehen - "nachdem Israel die eigene Demokratie zerstört hat, versucht dieser Staat auch unsere Demokratie, darunter unsere Meinungsfreiheit zu zerstören“.
Die Verbote seitens deutscher Institutionen haben das Klima in der Bundesrepublik mittlerweile so vergiftet und die Fronten dermaßen verhärtet, dass ich die große Befürchtung habe, dass eines Tages dies auf alle Juden zurückschlagen wird. Aufgrund der deutsch-jüdischen Geschichte bewegt das Thema Israel-Palästina die Gemüter vieler Menschen und ruft starke Emotionen hervor. Deshalb sollten auch kritische Stimmen gehört werden (man muss nicht mit allem einverstanden sein, aber man sollte die Gelegenheit haben, sich damit auseinanderzusetzen). Nur so kann Hamburg eine pluralistische und offene Stadt bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Bernstein