Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe

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Brief von Ernst Grube an den Caritasverband anläßlich der Kündigung des Mietvertrags mit der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München

Regensburg 30. September 2019 

An den Vorstand des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e.V
 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

als ich am 12. September in Dachau in den Räumen der Caritas eine Anne Frank Ausstellung eröffnet habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Caritas als großer Sozialverband ohne genaue Befassung und Abwägung, lediglich auf "Verärgerung" und "Erstaunen" von Frau Knobloch reagieren und einen Mietvertrag mit der Jüdisch-Palästinensischen Dialog Gruppe fristlos kündigen würde. 

Eine Handlung im vorauseilenden Gehorsam, die, wie zu erwarten, vom Landgericht München I zurückgewiesen wurde. Begründung des Gerichts: es handele sich um Meinungsäußerungen, die nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt sind. Es lägen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass strafrechtlich relevante Äußerungen auf dieser Veranstaltung oder Störungen der öffentlichen Sicherheit erfolgen könnten. 

Entscheiden Sie in blindem Vertrauen auf umstrittene Beschlüsse der Stadt und einer Willensbekundung des Bundestags zu BDS? 

Für mich ist Ihre Argumentation für diesen Schritt nicht nachvollziehbar und glaubwürdig, denn Sie entziehen sich der Verantwortung genau zu prüfen, was Sie tun und was Sie damit bewirken. 

Es ist ein berechtigtes Anliegen, die Vorgänge beim Zustandekommen einer weitreichenden Bundestagsresolution zu betrachten, noch dazu, wenn es von jüdischen israelischen und deutschen Persönlichkeiten heftige gewichtige Kritik gibt. Zur Veranstaltung in dem bei Ihnen angemieteten Raum war ein Journalist eingeladen, der dazu recherchiert und bereits im Spiegel berichtet hatte. 

Wie umstritten dieser Beschluss, der BDS als antisemitisch bezeichnet, ist, möchte ich Ihnen durch Aussagen von einigen Persönlichkeiten verdeutlichen.

Der Künstler Dani Karavan und der ehemalige Knesset Präsident Avraham Burg haben am 17. Juni 2019 in der israelischen Tageszeitung Haaretz unter der Überschrift „Deutschland düpiert den Kampf gegen den Antisemitismus“ folgendermaßen Stellung bezogen: 

"Antisemitismus gibt es wirklich, und ihm sollte in Deutschland und an allen anderen Orten mit allen juristischen Mitteln entgegengetreten werden. Doch gibt es an BDS als solcher nichts Antisemitisches. Gewaltlose Volkskampagnen sind ein legitimes und angebrachtes Mittel, um Staaten dazu zu bewegen, mit schwerer Diskriminierung und arger Verletzung von Menschenrechtsverletzungen ins Gericht zu gehen.(...)“ Dani Karavan und Avraham Burg sehen darin eine “gefährliche Gleichsetzung“ und „fragen die deutsche Regierung: Glauben Sie wirklich, dass es eine Ähnlichkeit zwischen dem Boykott einer Flasche Wein, die in den besetzten Gebieten auf von Siedlern gestohlenem Land, (...) produziert wurde, und dem Boykott eines Geschäfts in Nazi-Deutschland gibt? 

Wer diesen Vergleich zieht, befleckt die Erinnerung an den Holocaust und untergräbt massiv die Balance der Verpflichtungen in Deutschlands Nachkriegszeit. Schlimmer noch: Die Entscheidung beschädigt den Kampf gegen den wahren Antisemitismus, der im europäischen Nationalismus seinen Ursprung hat und heute von Teilen der muslimischen Gemeinschaften in Europa kommt.“ 

Beide Autoren führen weiter aus, dass die Resolution des Bundestags den Kampf gegen den Antisemitismus mit der Unterstützung der israelischen nationalistischen Agenda vermischt. 

Und weiter heißt es " Die Resolution des Bundestages schränkt die Meinungsfreiheit ein, eine Säule jeder liberalen Demokratie ". 

Als Münchner Jude habe ich Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung mit meiner Familie erlebt. Nach der Befreiung haben wir erfahren, dass alle unsere Verwandten mütterlicherseits - drei Schwestern der Mutter mit ihren Ehemännern und Kindern - ermordet worden waren. Seitdem beschäftigt mich dieses Menschheitsverbrechen und wie es zu seiner Durchführung kommen konnte. 

Es ist unsere zentrale Aufgabe Entwicklungen und Vorgängen entgegenzutreten, die sich gegen die Errungenschaften der Befreiung von Faschismus und Krieg richten, darunter antisemitische, rassistische, antidemokratische, das Asylrecht verstümmelnde und kriegsfördernde Maßnahmen. 

Nie wieder sollen Gewalt, Ausgrenzung, Diskriminierung, Menschenrechtsverletzungen, Verweigerung von Aufnahme von Menschen in Not hingenommen und beschwiegen werden. Die Bekräftigung der Menschenrechte nach der Barbarei gilt universell und ist zugleich überall konkrete Verpflichtung. 

„Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch“. 

Unter dieser Überschrift haben 240 jüdische und israelische Wissenschaftler, darunter namhafte Holocaust Forscher, in ihrem Appell vom Juni 2019 Stellung bezogen zur BDS-Resolution im deutschen Bundestag: “In den letzten Jahren haben die israelische Regierung und ihre Unterstützer versucht, die Debatte über die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen der seit 51 Jahren andauernden Besatzung zu unterbinden. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für Menschenrechte für Palästinenser einsetzen, werden von israelischen Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt immer weniger Raum...“ 

Eindringlich warnen diese Wissenschaftler davor, dem „Israelischen Staat Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet.“ 

In ihrem Aufruf an die deutsche Zivilgesellschaft verlangen sie “ Antisemitismus unnachgiebig zu bekämpfen und dabei klar zu unterscheiden zwischen Kritik am Staat Israel, so hart sie auch ausfallen mag, und Antisemitismus. Wir fordern sie weiter dazu auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden und auf der Beendigung dieses Zustands bestehen.“ 

„Die Unterzeichner dieser Erklärung haben zu BDS unterschiedliche Meinungen: Einige mögen BDS unterstützen, andere lehnen es aus verschiedenen Gründen ab. Wir alle lehnen jedoch die trügerische Behauptung ab, dass die BDS-Bewegung als solche antisemitisch sei, und wir verteidigen das Recht jeder Person oder Organisation, sie zu unterstützen.“ 

Der Mitunterzeichner Prof.em. Dr. Micha Brumlik schreibt nach dem erzwungenen Rücktritt des Leiters des Jüdischen Museums Berlin, Peter Schäfer, wegen angeblicher Nähe zu BDS von einem weiteren Beispiel „für den Verfall liberaler Öffentlichkeit“(...). 

„Das Perfide des neuen, BDS-bezogenen McCarthyismus besteht zudem darin, dass er sich wegen des darin enthaltenen Antisemitismusvorwurfs kaum ausweisen muss und er zudem einen kaum widerlegbaren Vorwurf enthält: den der Kontaktschuld. In einem kulturellen Milieu mit hoher Kommunikationsdichte ist nämlich so gut wie niemand vor diesem Vorwurf gefeit;“ (Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2019, Unter BDS-Verdacht: Der neue McCarthyismus. Brumlik war Professor am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaft der Universität Frankfurt und Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Seit 2013 ist er Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg in Berlin.) 

In der Münchner kommunalen Verwaltung wurde und werden nach diesem Muster zivilgesellschaftlichen Gruppen wie z.B. der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe oder der Künstlerin Nirit Sommerfeld Räume versagt. In Israel als Tochter von Überlebenden und Enkelin von Holocaust Opfern geboren, lebt Nirit Sommerfeld jetzt bei München. 

An der Künstlerin Nirit Sommerfeld, die im kommunalen Gasteig ein Konzert angekündigt hat, führt die Stadt München vorweg eine Gesinnungsprüfung durch, um vor dem am 5. Oktober 19 angekündigten Konzert ihren eigenen Antisemitismusverdacht auszuschließen. 

Dazu Nirit Sommerfeld: „Seit Jahren kämpfe ich mit künstlerischen Mitteln für ein gerechtes Israel und Menschenrechte für Palästinenser. Genügt das schon, um in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten?? BDS ist nicht mein Thema in der Öffentlichkeit, was sich in all meinen zahlreichen öffentlichen Publikationen ersehen lässt — abgesehen davon, dass ich regelmäßig Israel und Palästina besuche. Meine persönliche Haltung zu BDS deckt sich mit der von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern...“ 

Es reicht der Verdacht, die Vermutung, es könnte im Rahmen solcher Veranstaltungen oder eines Konzerts auch über BDS gesprochen werden. 

Es erschüttert mich, wenn mittlerweile, angeschoben durch solche Beschlüsse zu BDS auf kommunaler und Bundesebene, unter dem Vorwand Antisemitismus zu bekämpfen, ein Klima der Denunziation und Verleumdung hergestellt wird, Grundrechte ausgehebelt werden, die dann durch die so beschädigten, diffamierten Menschen in aufwändigen und kostspieligen Schritten erstritten werden müssen. Wieviel Kraft bleibt ihnen dann noch für Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung, wenn sie immer wieder vor verschlossenen Türen stehen? Die einschüchternden und desorientierenden gesellschaftlichen Folgen für eine aufrichtige Bekämpfung des Antisemitismus führe ich hier nicht weiter aus. 

Judith Bernstein, eine Mitklägerin gegen Ihre fristlose Raumkündigung, wird zusammen mit ihrem Mann Reiner Bernstein mit einer Rufmordkampagne überzogen. Als mir am 7. November 2017 von der Stadt München der Georg Elser Preis verliehen wurde, habe ich mich bereits geäußert. 

„Als Mitstreiter von Judith und Reiner Bernstein begrüße ich, dass beiden der Preis „Aufrechter Gang“ von der Humanistischen Union München - Südbayern zugesprochen wurde. Beide erhalten den Preis für ihren Einsatz zur Verlegung von Stolpersteinen in München sowie ihren unermüdlichen Beitrag zur Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Dieser Preis darf nicht in städtischen Räumen entgegen genommen werden. Judith Bernstein ist in Jerusalem als Tochter deutscher Juden geboren, die vor der Nazi-Verfolgung nach Palästina auswanderten. Dr. Reiner Bernstein ist Historiker und Publizist; er hat sich in vielen Schriften mit der Situation im Nahen Osten auseinandergesetzt. Diese beiden Münchner Bürger sind meine Mitstreiter für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts zwischen Israel und Palästina. (...) 

Es mag mühsam und unbequem sein. Verständigung, auch die Klärung von Mißverständlichem kommt nur über die respektvolle Auseinandersetzung, unter Einbeziehung der Rechte und Interessen aller zustande. Der Münchner Stadtrat sollte alles tun, um den Dialog für eine gerechte und friedliche Lösung des Nahost- Konfliktes auch in München zu fördern. 

Lebendige Demokratie verlangt, dass wir unseren Verstand und Realitätssinn einsetzen, die Wirklichkeit ergründen, um sie zum Besseren zu verändern.“ (Rede am 7. 11. 2017) 

Mittlerweile wurde die Rufmordkampagne gegen das Ehepaar Bernstein gesteigert. Besonders drastisch vom „Aktionsforum Israel“ mit dem unfassbaren Vorwurf: „Das Paar Bernstein propagiert in Vorträge(sic) Terror gegen Juden“. Das reiht sich ein in Behauptungen von Arye Sharuz Shalicar, die dieser in seinem Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ (Leipzig 2018) macht. Reiner und Judith Bernstein würden sich für die „Bürgerinitiative Stolpersteine für München engagieren“, weil sie tote Juden lieben und in Israel Probleme mit lebenden Juden hätten. Shalicar hat sich in einem aktuellen Facebook Eintrag aus New York als Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums gerühmt. 

Je älter ich werde, umso intensiver wird meine Erinnerung an erlebte Verfolgung, um so bedeutsamer sind mir die Errungenschaften der Befreiung, wie das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung.

Die freie Debatte ist ein Grundrecht und unerläßlicher demokratischer Bestandteil gegen Rechtsentwicklungen, Verleumdungs- und Ausgrenzungsmechanismen. Dieses Grundrecht wirkt nur solange, wie es gelebt werden kann, wie es Räume gibt, in denen Menschen ihr Recht, sich mit wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen auseinanderzusetzen, tatsächlich haben. 

Erst dadurch können sie zu wirklichkeitsnahen und wahrheitsgemäßen vollständigeren Bewertungen und Handlungen finden. 

Ich bin der Einladung, die Anne Frank Ausstellung zu eröffnen, gerne gefolgt. 

Auch deshalb, weil ich das Engagement Ihrer Mitarbeiten*innen punktuell kennengelernt habe, und weil ich gesellschaftspolitische Stellungnahmen des Caritasverbands z.B. zu Armut, Zuwanderung oder Asyl oft als wertvoll und bitter nötig gegen Verzerrungen und Falschinformation schätzen gelernt habe. 

Ich hoffe auf eine intensive Befassung mit dem von mir Dargelegten und, dass Ihre Türen für Aufklärung und Bestrebungen, die einen gerechten Frieden und Ausgleich zwischen Israel und dem palästinensischen Volk zum Ziel haben, offen sind. 

Ich erlaube mir, meine ausführliche Darlegung öffentlich zu machen. 

Gern bin ich zu einem persönlichen Gespräch bereit. 

Freundliche Grüße 

Ernst Grube