Brief von Judith Bernstein an das Kulturreferat der Stadt München
Sehr geehrter Herr Dr. Küppers,
diesen Brief schreibe ich Ihnen weder im Namen der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München noch desEineWeltHauses, sondern nur im eigenen Namen.
Dass ich in München nicht mehr zu meiner Geburtsstadt Jerusalem sprechen darf, seitdem Stadtrat Marian Offman anlässlich meines Vortrags im Oktober 2017 im Gasteig dafür gesorgt hat, dass ich zum Schweigen gebracht werde - damit kann ich leben, wobei ich aber frage, wer darüber entscheidet, wer ein guter und wer ein böser Jude ist. Dass aber der Stadtratsbeschluss von Dezember 2017 große Teile der Münchner Stadtbevölkerung gegen uns Juden aufgebracht hat, nehme ich der Israelitischen Kultusgemeinde, dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister sehr übel. Ich halte die jetzige Diskussion für sehr gefährlich. Denn eines Tages werden diese Verbote auf alle Juden zurückschlagen.
Indem Gruppen wie die Dialoggruppe von der jüdischen Gemeinde bekämpft wird, unterstützt sie die israelische Regierung, die keine Probleme mit Antisemiten vom Schlage Viktor Orbáns hat. Fällt die Distanzierung von einer Politik so schwer, die zentrale Werte, die deutsche Juden für sich in unserem demokratischen Staat beanspruchen, mit Füßen tritt? Den Unterstützern der israelischen Politik kommt BDS sehr gelegen - gäbe es diese Kampagne nicht, hätte man sie erfinden müssen. Bei der jetzigen Diskussion um BDS geht es ja nicht wirklich um den Boykott. Diese Bewegung setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein – was soll daran antisemitisch sein? Wenn man BDS mit Antisemitismus gleichsetzt, macht man jeden, der diese Gruppe unterstützt, zum Antisemiten, der zum Schweigen gebracht werden müsse. Von der Lage der Palästinenser wird abgelenkt. In Israel selbst findet zu diesem Unrecht eine breite Diskussion statt. Das soll in München nicht möglich sein.
Mit Ihrem Schreiben vom 12. März schaden Sie nicht nur der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe (die die Kosten für diese Veranstaltung trägt), sondern dem palästinensischen Filmemacher Mohammed Alatar , der BDS nicht unterstützt, der aber durch seine Filme versucht, aus der Sackgasse herauszukommen, um mit den Israelis eine Zukunft aufzubauen. Wie die Dialoggruppe gehört auch er zu denjenigen, die im Gegensatz zu den selbsternannten Freunden Israels den Versuch unternehmen, Israel vom moralischen Niedergang zu bewahren und deshalb seine Politik kritisieren.
In einer wirklichen Demokratie hat man unangenehme Meinungen und Ansichten auszuhalten. Wer sie aktiv bekämpft, die Akteure mundtot macht und sie ihrer demokratischen Rechte beraubt, hat seine eigene Glaubwürdigkeit verspielt. Das sollte sich auch der Münchner Stadtrat vor Augen führen. Es ist doch eine Illusion zu glauben, dass man das historische Unrecht an den Juden mit einem anderen Unrecht an den Palästinensern „wiedergutmachen" kann.
Sie können gern diesen Brief auch weiterleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Bernstein