Die "differenzierte" Haltung der Stadt München am Beispiel der Nakba-Ausstellung in München
Ein Kommentar von Shelly Steinberg
Vom 07.05. bis 07.06.2024 war die Ausstellung „Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“, die vom Verein „Flüchtlingskinder im Libanon e.V.“ konzipert wurde, in der Seidlvilla in München zu sehen. Veranstalter waren „Salam Shalom, Arbeitskreis Palästina-Israel e.V“, die „Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München (JPDG)“ und „Frauen in Schwarz“. Ursprünglich sollte die Ausstellung 2023 gezeigt werden, dem Jahr, in dem sich die Staatsgründung Israels und die damit einhergegangene Nakba zum 75. Mal gejährt haben. Daher wandte sich die JPDG bereits im März 2023 an die Geschäftsführung der Seidlvilla, um entsprechende Räumlichkeiten anzumieten. Auf eine sofortige Zusage seitens der Seidlvilla folgte jedoch ein paar Tage später eine Absage, da man eine enorme Gegenwehr zu der Ausstellung befürchte.
Die Befürchtung ist nicht unberechtigt, wenn man betrachtet, mit welcher Vehemenz, Aggressivität und mit welch fehlendem demokratischen Rechtsverständnis Veranstaltungen und Organisatoren israelkritischer Events von Lobbygruppen wie etwa der IKG (Israelitische Kultusgemeinde München), München ist bunt e.V. und selbst der Stadtverwaltung angegangen wurden und werden. Da die Seidlvilla eine öffentliche Einrichtung der Landeshauptstadt München ((LHM) ist, kann sie jedoch ihre Räumlichkeiten aufgrund solcher „Bedenken“ Bürgern nicht einfach vorenthalten wie das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Januar 2022 feststellte. Die Vorenthaltung von öffentlichen Räumen, sowie Veranstaltungsverbote wie sie die LHM seit 2017 ausspricht und versucht umzusetzen, stellen laut dem Urteil von 2022 eine Missachtung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung dar.
So musste sich die Seidlvilla der Frage stellen, ob sie bereit sei, zugunsten von pro-israelischen Lobbyisten geltendes deutsches Recht zu missachten. Zudem gaben wir Veranstalter unmissverständlich zu verstehen, dass wir gegen eine Absage der Räumlichkeiten rechtliche Schritte einleiten würden.
So kam es letztendlich zu einer Zusage seitens der Seidlvilla. Doch wer glaubt, dass somit eine Vorbereitung der Ausstellung problemlos beginnen konnte, irrt sich gewaltig und kennt die LHM nicht! Das Kulturreferat der Stadt München erteilte zwar eine schriftliche Genehmigung der Ausstellung, bedauerte es in seinem Schreiben vom 28.06.2023 an die Veranstalter aber sehr, sich an geltendes Recht halten zu müssen und behielt es sich vor, sich in einem öffentlichen Statement von der Nakba-Ausstellung zu distanzieren (https://stadt.muenchen.de/infos/nakba-ausstellung.html).
Die Erlaubnis des Kulturreferats beeindruckte die Geschäftsführung bzw. den Vorstand des Trägervereins der Seidlvilla jedoch nur mäßig, so dass mit allen möglichen Tricksereien sabotiert und torpediert wurde. Der 07. Oktober 2023 kam der Seidlvilla zudem sehr gelegen, um die Ausstellung voerst auf Eis zu legen. Dabei wäre es genau zu diesem Zeitpunkt wichtig gewesen, aufzuzeigen, welche seit 1948 andauernden Zustände zu dem Überfall vom 07. Oktober geführt haben.
Eine Durchführung der Ausstellung anlässlich des 75. Jahrestages der Nakba wurde so unmöglich gemacht und musste auf das Jahr 2024 verschoben werden.
Doch auch als Mai/Juni 2024 als Ausstellungszeitrum vereinbart wurde, wurde weiter getrickst. Es wurde ein Sicherheitskonzept von uns Veranstaltern verlangt, das Dank der besten Kontakte unseres juristischen Beraters bis in die höchsten Polizeispitzen Münchens umgehend geliefert werden konnte – hier muss erwähnt werden, dass die Münchner Polizei sehr wohlwollend war. Die Nakba-Ausstellung sei in der Vergangenheit bereits an unterschiedlichen öffentlichen Plätzen Münchens gezeigt worden, ohne dass es zu irgendwelchen polizeirelevanten Vorkommnissen gekommen sei, hieß es in einem Schreiben des Polizeipräsidenten Münchens, so dass seitens der Polizei keine Bedenken bestünden. Das zuständige Polizeirevier äußerte sich dahingend, dass es die Aufgabe der Polizei sei, Bürger dabei zu unterstützen, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen.
Es ist doch schier absurd, dass von uns Veranstaltern, die ihr demokratisch gesichertes Recht wahrnehmen, ein Sicherheitskonzept als Bedingung an die Durchführung der Ausstellung geknüpft wurde – es wäre die Pflicht der Stadt München bzw. der Seidlvilla gewesen, alles zu tun, um Angriffe gegen die Ausstellung oder deren Veranstalter abzuwehren und für Sicherheit zu sorgen. Dies lässt auf ein sehr fragwürdes Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsverständnis seitens der Stadt und Seidlvilla schließen.
Doch auch nach Vorlage des Sicherheitskonzeptes wurde wochenlang der Mietverträg für die Räumlichkeiten vorenthalten mit der Ausrede, er liege dem Kulturreferat zur Überprüfung vor, doch sei der verantwortliche Mitarbeiter leider krank. Erst ca. 1,5 Woche vor Ausstellungsbeginn wurde der Mietvertrag an die Veranstalter übermittelt – das auch nur, nachdem eine Vertreterin von Salam Shalom beim Kulturreferat angerufen hatte; vom Kulturreferat wurde mitgeteilt, dass weder die Stadt für Mietverträge zuständig sei, sondern allein die Trägervereine der öffentlichen Einrichtungen, noch der zuständige Mitarbeiter krank gewesen sei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
Trotz aller unnötigen Hindernissen und perfiden Tricksereien von LHM und Seidlvilla konnte die Ausstellung am 07.05.2024 feierlich mit einer Rede des emeritierten Antisemitismusforschers Prof. Wolfang Benz eröffnet werden. Die augezeichnete Eröffnungsrede, die u.a. auch eine Abwatschung der Stadt München und Seidlvilla war, ist hier zu sehen: https://www.jpdg.de/meldungen/2024/5/14/die-rede-von-prof-wolfgang-benz-zur-erffnung-der-ausstellung-vortrag-nakba-flucht-und-vertreibung-der-palstinenser-1948
In seiner Rede zitierte Prof. Benz auch Prof. Ernst Tugendhat, der 2010 die Schirmherrschaft der Ausstellung in Tübingen übernommen hatte. Auch diese Rede sollte man sich nicht entgehen lassen: https://view.officeapps.live.com/op/view.aspx?src=https%3A%2F%2Fwww.palaestina-portal.eu%2FAnlagen%2FTugendhat-Rede%2520zur%2520Er%25C3%25B6ffnung%2520der%2520Nakba.doc&wdOrigin=BROWSELINK
Die Ausstellung fand überwältigenden Anklang bei den Bürgern. Obwohl die Seidlvilla nur sehr begrenzte Besuchszeiten zuließ und diese hin und wieder spontan änderte/verkürzte, kamen knapp 1400 Besucher und fast 500 Ausstellungskataloge wurden verkauft. Sämtliche Ausstellungstafeln sowie weitere Information sind auf der Webseite von „Flüchtlingskinder im Libanon e.V.“ unter www.lib-hilfe.de einzusehen.
Es waren sicherlich die seit dem 08.10.2023 andauernden Zustände in Gaza, aber auch das „Distanzierungsstatement“ der LHM, das die Stadt u.a. auf Infomonitoren in öffentlichen Verkehrsmitteln veröffentlicht hatte, die zu dem enormen Interesse bei den Bürgern geführt hatten. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Stadt München für die gute PR!
Hier ein paar Auszüge aus dem Gästebuch der Ausstellung:
„Und von dieser historisch korrekt recherchierten Darstellung musste sich die Stadt München und Seidlvilla distanzieren? Danke für die Präsentation und die historische Darstellung des Leids.“
„Eine unbedingt notwendige und informative Ausstellung, die klar macht, wo die Ursachen des jetzigen Konflikts liegen“
„Vielen Dank für diese sehr wichtige Ausstellung, auch wenn meine Arbeitgeberin, die Landeshauptstadt München, diese Ausstellung nicht zulassen wollte. Geschichte kann nicht verheimlicht werden. Wir müssen in einem demokratischen Land wie Deutschland darüber sprechen dürfen, was in Palästina passiert ist und derzeit noch vor den Augen der Welt passiert. Herzlichen Dank!“
„Eine sehr informative Ausstellung – sachlich und informativ. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Stadt München, eine liberale Stadt, sich so dagegen wehrt bzw. distanziert. Ich meine, das ist nicht nur lächerlich, sondern traurig.“
In ihrem unsäglichen Statement schrieb die Stadt u.a. „Die LHM plädiert für eine Annäherung der Perspektiven durch einen umfassenden und differenzierten Blick auf die historischen und politischen Hintergründe der Situation im Nahen Osten.“
Gleichzeitig beruft sie sich auf ein lächerliches „Gutachten“ von Dr. Sebastian Voigt vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, das gerade einmal vier Seiten umfasst und vom „AG jüdisch & christlich beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ in Auftrag gegeben worden war, um die Ausstellung als „antisemitisch“ zu diffamieren und sie somit auf dem Evangelischen Kirchentag zu verbieten.
Auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung hin, distanzierte sich die Leitung des Instituts für Zeitgeschichte von dem „Gutachten“ und erklärte, dass Dr. Sebastian Voigt dieses nicht im Rahmen seiner Mitarbeit am Institut verfasst habe. Komischerweise ist das „Gutachten“ jedoch überall im Netz mit dem offiziellen Briefkopf etc. des Instituts zu finden: https://www.ag-juden-christen.de/wp-content/uploads/2023/06/Gutachten_Voigt.pdf
Die Stadt – allen voran Oberbürgermeister Dieter Reiter – lässt keine Gelegenheit aus, uneingeschränkte Solidarität mit Israel zur Schau zur stellen. Bei keiner Veranstaltung zum 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels beispielsweise war auch nur ein einziger Palästinenser zugegen.
Während ein Münchner Studentenverband gegen das städtische Verbot , ein Camp zur Solidarität mit den Palästinensern auf dem Campus der LMU zu errichten, klagen musste, genehmigte die Stadt ohne mit der Wimper zu zucken ein „Gegencamp“ der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auf der gegenüberliegenden Campusseite. Welche Berechtigung hat die DIG im Gegensatz zu Studenten, auf Universitätsgelände ein Camp zu errichten? Wäre es nicht eher die Aufgabe der Stadt, deeskalierend zu handeln? Stattdessen greift sie offensiv ein und missachtet dabei das Sachlichkeitsgebot, dem sie im Grunde unterliegt. Das stellt eine alles andere als „differenzierte“ Positionierung der Stadt München dar.
Und wie differenziert ist die Stadt denn wirklich, wenn sie ein gemeinsames öffentliches Friedensgebet von Christen, Juden und Muslimen auf Druck der Israelitischen Kultusgemeinde absagt?
Am Münchner Rathaus hängt seit dem 07.10.2023 – mit Unterbrechung während Europawahl und Fussball-EM - die Israelfahne – von der palästinensischen Flagge war und ist weit und breit nichts zu sehen. Auf eine entsprechende Anfrage bei der Stadt wurde mitgeteilt, dass die LHM lediglich mit der israelischen Stadt Be’er Sheva eine Städtepartnerschaft unterhalte und daher nur die Israelfahne hisse.
Zitat: „... hat die Landeshauptstadt München aus dem in Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz verankerten Selbstverwaltungsrecht ein kommunalpolitisches, aber kein allgemeinpolitisches Mandat, so dass sie sich bei der Beflaggung öffentlicher Gebäude und Masten im öffentlichen Raum im Rahmen der kommunalen Aufgaben und Zuständigkeiten bewegen muss. Unter dem Gesichtspunkt von städtepartnerschaftlichen Verbunden kann eine solche kommunale Aufgabe bejaht werden, da Städtepartnerschaften der Förderung der Völkerverständigung dienen. München unterhält keine Partnerschaft zu einer palästinensischen Kommune. Jedoch hat die Landeshauptstadt München Partnerstädte in Israel (Be´er Sheva) und in der Ukraine (Kyiv). Die Flaggen hängen als sichtbares Zeichen der Solidarität mit unseren Partnerstädten.“
Auf die Frage, ob die Stadt daher nicht verpflichtet sei, das Stadtwappen von Be’er Sheva zu hissen statt der Israelfahne, mit der sie sich dem zitierten Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes auf allgemeinpolitische Ebene begeben würde, kam keine Antwort mehr.
Während die Bürger Münchens ein enormes Interesse an Fakten und Hintergrundinformationen zu Israel und Palästina zeigen, schwelgt die Münchner Stadtführung in einem selbstverliebten, ignoranten Selbstbild, in dem sie sich selbst suggeriert, sie stünde über dem Gesetz und sei tatsächlich so „differenziert“ wie sie es die Bürger glauben machen möchte.
Auch die permanenten Abwatschungen durch Gerichte, die ein städtisches Verbot nach dem Anderen kippen, ändern scheinbar nichts an der rechtswidrigen Vorgehensweise der Stadt. Doch die Frage ist: Wie lange noch?