Zensur in München

Mit der Zensur der Stadt, den israelisch-deutschen Publizisten Abraham Melzer im Eine-Welt-Haus nicht auftreten zu lassen, ist die Stimmung in breiten Kreisen unserer Stadtgesellschaft weiter gekippt, nicht nur bei denen, die sich seit Jahren mit dem Konflikt beschäftigen.

Ich kann gut nachvollziehen, dass man Angst um den wachsenden Antisemitismus in Deutschland hat - auch mir bereitet dieser große Sorgen. Aber Verbote gegen Dialoge schüren eher die antijüdischen Gefühle. Denn die Stimmung gegenüber Israel und den Juden hierzulande wird immer aggressiver. Viele Menschen können die doppelten Standards, wenn es um die Politik des Staates Israel geht, nicht nachvollziehen. Auch aus diesem Grund versuchen mein Mann und ich schon seit Jahren in Gesprächen im Auswärtigen Amt und im Bundeskanzleramt Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ich kann verstehen, wenn Juden Israel als ein Rückzugsgebiet betrachten, ich habe aber kein Verständnis, wenn Juden als eine Minderheit in Deutschland, die alle Rechte der Mehrheitsgesellschaft genießt, einen Staat unterstützt, der genau diese Rechte einem anderen Volk - den Palästinensern - vorenthält. Durch seine Politik schadet Israel nicht nur den Palästinensern, sondern der eigenen Bevölkerung und wird immer mehr zu einem unsicheren Ort für Juden.

Der Vergleich der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde zwischen der BDS-Kampagne und dem NS-Aufruf "Kauft nicht bei Juden“ ist abwegig. Damals sollte der Boykott die Juden deshalb treffen, weil sie Juden waren. Wenn jedoch der Staat Israel die Besetzung der palästinensischen Gebiete beendet, wird sich auch die BDS-Kampagne erledigen. Diese Bewegung geht auf das Versagen der deutschen und europäischen Politik zurück. Es sind nicht die Friedensgruppen, die Israel delegitimieren, sondern die selbstzerstörerische Politik dieses Staates. Deshalb haben vor kurzem 500 namenhafte israelische Persönlichkeiten - darunter David Grossman, Dani Karavan, Amos Oz, Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann - einen Aufruf an Juden und Nicht-Juden in aller Welt gerichtet, in dem sie sie auffordern, nicht länger zu schweigen wenn sie sich um Israel sorgen (http://www.jrbernstein.de/…/wenn-du-dich-um-israel-sorgst-i…).

Die Zensur seitens der Stadt und anderer Institutionen wird als einen Angriff auf die eigene Demokratie und vor allem auf die Meinungsfreiheit gesehen. Da das Klima mittlerweile so vergiftet und die Fronten dermaßen verhärtet sind, habe ich die große Befürchtung, dass eines Tages dies auf alle hier lebenden Juden zurückschlagen wird. Aufgrund der deutsch-jüdischen Geschichte bewegt das Thema Israel-Palästina die Gemüter sehr vieler Menschen und ruft starke Emotionen hervor. Deshalb sollten auch kritische Stimmen gehört werden. Auch wer nicht mit allem einverstanden sein mag, sollte sich damit auseinandersetzen. Dies ist die Voraussetzung für eine pluralistische und offene Gesellschaft.

Judith Bernstein