von B. Michael* ("Haaretz" 01. Juni 2016, übersetzt aus dem Hebräischen von Lola Horowitz, Jersualem)
Das jüdische Volk ist wieder in großer Gefahr. Nicht das gesamte Volk, nur ein Teil davon. Der im östlichen Mittelmeerraum versammelte. Diesmal haben sich nicht die üblichen Bösewichte erhoben, um uns auszurotten. Diesmal kommen sie aus unserer eigenen Mitte. Denn eigenhändig haben wir die über uns herrschenden Hunnen inthronisiert. Eine wildgewordene, bösartige, erwartungs- und hemmungslose Clique, die ihre Herde mit dem Kopf direkt an die Wand fährt.
Und die Welt schweigt...
An unsere Spitze haben wir einen genusssüchtigen und wortgewaltigen Gefängniswärter gestellt. Einen Mann, den sein Weggefährte und Jugendfreund einen Lügner, Betrüger und Scharlatan genannt hat. Einer, der vor seinem eigenen Schatten Angst hat, aber vor allem vor seinem toten Vater und seiner lebendigen Frau. Und dieser armselige Typ hat uns eine Regierung aus Peitschen und Skorpionen vorgesetzt; die eine Hälfte Peitschen, die andere Skorpione. Mit einem begeisterten Befürworter der ethnischen Säuberung als Verteidigungsminister; mit einer Justizministerin, die das Gesetz als Knüppel zum Begleichen nationalistischer und politischer Rechnungen betrachtet; mit einem fundamentalistischen Erziehungsminister, der uns um ganze 1000 Jahre zurückversetzen möchte, in die guten alten Zeiten des völkermordenden wilden Joshua, des Tempels zur Gottesmästung mit Grillhappen, und der geld- und vergnügungssüchtigen Könige, die überzeugt sind, Gott habe sie zur ewigen Herrschaft gesalbt.
Ist es da noch verwunderlich, dass wir von Fäulnis und Korruption zerfressen werden?
Und die Welt schweigt....
Dank ihnen hat uns die Geschichte einen bitteren Streich gespielt: Deutschland wurde zum gelobten Land und zum Vorbild für die Völker. Und wir Juden wurden zu Skinheads. Von unserer selbstverbuchten Glorie ist nur das große Mundwerk übriggeblieben, die erhobene Faust, unzählige Schätze aus Abscheu, Soldatentum, Paganismus und Selbstgerechtigkeit.
Und die Welt schweigt...
Dem Anschein nach, so heißt es jetzt, fängt der Boden an zu wackeln. Anscheinend ist das Maß voll. Anscheinend ist endlich die finale Botschaft verinnerlicht worden, und der Wendepunkt wird jeden Moment eintreffen. Glaub' es nicht, liebe entfremdete Welt, glaub' es nicht. Wenn Du Dich nicht zusammenreißt und aufwachst, wird gar nichts passieren. Denn bei uns gibt es keine(n) mehr, der aufsteht und etwas tut.
Die Rechte ist zu verblödet, böswillig und verschreckt,
um noch zu begreifen, was sie anstellt. Und die Linke... oh jeh, die Linke... ihre Überreste liegen sich gegenseitig in den Armen und berechnen das nahende Ende. Und die Opposition, dieses lächerliche Gebilde, wird von einem Schwachkopf und einem Waschlappen angeführt. Die beiden können ruhig darüber streiten, wer der Schwachkopf ist und wer der Waschlappen, die Antwort ist in jedem Fall richtig.
Und die Welt schweigt nach wie vor. Als habe sie nichts gelernt und nichts vergessen. Überlässt die Juden im Orient sich selbst. Sollen sie doch machen, was sie wollen.
Dabei wäre es so einfach, uns zu retten. Visumpflicht für Israelis in allen Staaten der Welt, eine leichte Andeutung bevorstehender Kürzungen der finanziellen Unterstützung, hier und da ein kleines Veto, praktisches Nachdenken über das Modell, welches Südafrika auf den rechten Weg zurückgeführt hat... und schon befreit sich Israel aus der Mistgrube, in die es wie ein U-Boot eingetaucht ist. Aber die Welt schweigt.
Also brich endlich Dein Schweigen, oh grausame Welt!
Denn wenn Du weiterhin schweigst, meine gleichgültige Welt, so ist das ein untrüglicher Beweis dafür, dass Du wirklich antisemitisch bist, genau wie man uns das immer erzählt hat.
Abschließend habe ich nur diese Bitte: Obiger vollständiger Text soll in die Sprachen sämtlicher aufgeklärter Staaten übersetzt und deren Regierungschefs übermittelt werden. Zwar lehrt die Erfahrung, dass die Welt weiterhin schweigen wird, bis es zu spät ist, aber Illusion ist besser als Verzweiflung.
Falls man mich der Verunglimpfung des Landes bezichtigen sollte, werde ich zu meiner Verteidigung die üblichen Verteidigungsargumente vorbringen: 1) Ich habe die Wahrheit gesagt. 2) Es besteht daran ein gründliches öffentliches Interesse (auch wenn diese Öffentlichkeit immer mehr schrumpft).
*B. Michael, geb. 1947, ist ein bekannter israelischer Schriftsteller.