Leserbrief v. Abed Khalifeh zu: Der Krieg in Nahost als "Brandbeschleuniger" (Martin Bernstein, Süddeutsche Zeitung)

An die SZ-Redaktion

Leserbrief zum Artikel „Der Krieg in Nahost als ‚Brandbeschleuniger‘“ vom 16.04.2024 15:13 Uhr

Wörthsee, dem 22.04.2024

Sehr geehrte Damen und Herren der SZ Redaktion,

erneut versucht Herr Bernstein, mit seiner Schlagzeile dem Leser ein falsches Bild zu vermitteln, indem er die in München lebenden, aus „Nahost“ stammenden Bürger, des Judenhasses und Antisemitismus bezichtigt.
Mit der Aussage „Antisemitismus und als ‚Israelkritik‘ verbrämte Hetze gegen den jüdischen Staat beschäftigen in München die Sicherheitsbehörden“ versucht Herr Bernstein Israelkritik mit Judenhass gleichzusetzen. Diese Diffamierung dient lediglich dazu, jegliche Kritik an Israels Völkerrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Faschismus im Keim zu ersticken und eine sachliche Debatte zu verhindern. Die Einschränkung von Grundrechten wird hierbei billigend in Kauf genommen.

In einem Brief an Staatsministerin Claudia Roth, welcher Ihnen bekannt sein dürfte, beschrieb Shelly Steinberg von der Jüdisch-Palästinensischen-Dialoggruppe-München treffend, dass es beim Antisemitismus „… wie bei jeder Form des Rassismus nicht darum, was gemacht wird, sondern vom wem etwas gemacht wird – nicht das Was, sondern das Wer ist hier entscheidend. Und daher ist der Antisemitismusvorwurf gegen Kritiker der israelischen Politik absurd“ (nachzulesen hier auf der Webseite der JPDG ).

Die im Artikel des Herrn Bernsteins erwähnten Zahlen belegen keineswegs, dass Angriffe vom palästinensischen „Lager“ zu verzeichnen waren. Die zitierte „hohe Emotionalisierung“, welche „Anlass für zahlreiche Versammlungen und Veranstaltungen" war, ist keine Straftat, sondern ein Grundrecht, wird jedoch von Herrn Bernstein dem Absatz der Statistik der Straftaten angehängt, offenbar um den Lesern den Eindruck zu vermitteln, dass seit dem 7.10. Palästinenser vermehrt Juden in München angreifen. Die Hintergründe der Täter bei den von ihm gelisteten Straftaten gegen jüdische Bürger bleiben unerwähnt (rechte Szene?). Straftaten und Hassparolen gegen Palästinenser widmet er keinen Satz. Das Beispiel von Angriffen auf mein Haus, oder der Aufruf zum Völkermord an Palästinensern am Heinrich-Heine-Gymnasium sind ihm nicht unbekannt. Ein professioneller objektiver Bericht, wie man ihn von einer Zeitung Ihres Formats erwartet, hätte antipalästinensischen Rassismus und Straftaten ebenfalls beinhaltet.

Laut einem Brief, welchen 100 jüdische Akademiker unterzeichnet haben, werden nach Angaben der Bundespolizei „die ‚überwiegende Mehrheit‘ der antisemitischen Straftaten - etwa 84 Prozent - von deutschen extremen Rechten begangen“. Es scheint kein Zufall zu sein, dass Herr Bernstein seinen Artikel nur wenige Tage nach dem Erscheinen des offenen Briefs veröffentlicht. Auch, dass Herr Bernstein diesen Brief im Rahmen seines Artikels nicht erwähnt, lässt vermuten, dass er keine objektive Berichterstattung betreffend den wahren Antisemitismus anstrebt.
Dem nicht genug, behauptet Herr Bernstein in seinem Artikel „Judenfeindliche Hetzer nehmen an pro-paläästinensischen Versammlungen teil“, liefert jedoch keinen einzigen Beleg für diese Behauptung.

Anders als in seinem Artikel behauptet, unterscheiden die Akteure auf den Pro-Palästina Demonstrationen stets deutlich zwischen Juden und der israelischen Aggression welcher die Kritik gilt. Auch jüdische und israelische Aktivisten beteiligen sich and den Protesten und kritisieren die israelischen Kriegsverbrechen. Ich frage mich, ob Herr Bernstein diese Juden ebenfalls als Antisemiten einstuft. Ein Beispiel für die deutliche Unterscheidung belegt der Applaus der Demonstranten zu meiner Aussage „Das Schützen jüdischen Lebens in der BRD ist auch unser Anliegen und Verpflichtung als Bürger“. Darf ich Sie fragen, weshalb über diese Demonstration in der SZ nicht berichtet wurde? Dies, obwohl Herr Bernstein sowie die SZ namentlich angesprochen wurden und Herr Bernstein behauptet die Demonstrationen zu beobachten und Videomaterial auszuwerten.

Wie bereits in meinem Brief vom 20.11.2023 geäußert, dienen solche Artikel und Schlagzeilen lediglich dazu, ein hier verbreitetes Stereotyp von Judenhassern zu bedienen. Anti-Völkermord, anti-israelischen-Faschismus sind kein Antisemitismus. Wer das vermischt, verwässert den Kampf gegen wahren Antisemitismus. Das „was“ und nicht das „wer“ ist hierbei entscheidend.

Herr Bernstein äußerte im November „das Existenzrecht (nein, mehr noch: die absolute Notwendigkeit) eines jüdischen Staates Israel“, sei für ihn „unverhandelbar“. In seinem o.g. Artikel betont er erneut „den jüdischen Staat“ und indiziert somit, dass er sich gegen einen demokratischen Staat für alle dort lebenden Menschen (mit gleichen Rechten, religionsunabhängig) positioniert. Dies treibt ihn offenbar an, stets den Slogan „from the river to the sea“ zu thematisieren und als Aufruf zur Vernichtung Israels zu interpretieren. Diese Aussage traf er auch nach meiner Kritik an seiner Schlagzeile „5000 Demonstranten sprechen Israel das Existenzrecht ab“, welche im November ein falsches Bild der Demonstration zeichnete. Auf meinen ausführlichen Leserbrief und meine sachliche Antwort auf seine Beschuldigungen bekam ich leider keine Antwort.

Antisemitisch ist aus meiner Sicht, wer Israels Faschismus und Verbrechen mit Juden gleichsetzt und damit implizit Juden des Völkermords bezichtigt. Israels aktuelle Regierung und Politik repräsentiert nicht die Juden, sondern einen faschistischen, rassistischen, kolonialen Zionismus. Die diversen faschistischen Äußerungen israelischer Minister und Amtsträger sind Ihnen sicherlich nicht unbekannt, werden jedoch nicht thematisiert.Des Weiteren zitiert Herr Bernstein den Innenmister, wonach die „Gruppierung Palästina Spricht“ in sozialen Medien „ungeniert antisemitische Inhalte“ verbreiten würde, führt jedoch kein Beispiel auf. Zu einem seriösen Journalismus, wie man ihn von der SZ erwartet, gehört die Überprüfung der Posts sowie solcher Aussagen, selbst wenn diese von einem Minister stammen. Haben Sie hierbei antisemitische Äußerungen gefunden und entsprechend angezeigt? Mir persönlich ist bisher keine antisemitische Äußerung aufgefallen, ansonsten hätte ich diese unverzüglich zur Anzeige gebracht. Antisemitismus ist nicht nur verwerflich, sondern schadet den Interessen der Palästinenser und ihrem Streben nach Freiheit und Grundrechten.

Die stets wiederholte Diffamierung von Israelkritikern als Antisemiten und Straftäter, kombiniert mit seinen Aussagen und dem Weglassen maßgeblicher Informationen und Fakten, erwecken den Eindruck, dass sich Herr Bernstein schwertut, seine private „nicht verhandelbar[e]“ Meinung zu Israel sowie seine Weltanschauung von seiner Profession als Reporter zu trennen. Seine Meinungen und unverhandelbaren Positionen beeinflussen offensichtlich seine Berichterstattung, welche in der SZ nicht als „Meinung“ oder „Kommentar“ gekennzeichnet ist.

Somit ist Herr Bernstein meines Erachtens nicht für Berichterstattungen zum Thema Nahost oder Antisemitismus geeignet, sofern die SZ einen objektiven Journalismus anstrebt. Schließlich beauftragt man keinen islamischen Imam oder Evangelikalen mit der Berichterstattung über die Queer-Szene in München.Die Artikel des Herrn Bernsteins sehe ich eher als „Brandbeschleuniger“, und zwar für antipalästinensischen Rassismus sowie für den Verfall des objektiven Journalismus in der BRD und zur Kündigung von SZ-Abonnements.

Mit freundlichen Grüßen

Abed Khalifeh