Sehr verehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine große Ehre, heute hier reden zu dürfen - und ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung!
Ich bin in Israel geboren, meine Großeltern mütterlicherseits stammten aber ursprünglich aus Deutschland - meine Oma aus Bleicherode im Harz, mein Opa aus Gelnhausen - dem Ort, der sich seinerzeit rühmte, der erste “judenfreie” Ort Hessens zu sein.
Meine Großeltern sahen sich 1935 gezwungen, Deutschland zu verlassen und flohen nach Palästina. Sie waren keine Zionisten, hatten aber keine andere Möglichkeit, denn kein anderer Staat war bereit gewesen, sie aufzunehmen.
Der Großteil ihrer Familienangehörigen wurde dann letztendlich in Auschwitz und anderen KZs umgebracht.
Meine Eltern gingen dennoch in den 60er Jahren zum Studieren nach Deutschland - in das Land der Täter - und entschlossen sich kurz nach meiner Geburt 1976, endgültig nach Deutschland zu ziehen.
Ich hatte von Geburt an sowohl die deutsche als auch die israelische Staatsbürgerschaft, auf die ich nie stolz war - ich habe mich aber auch noch nie so für sie geniert wie heute!
Denn Israel begeht seit dem 8. Oktober 2023 den am besten dokumentierten Völkermord der Geschichte - mit deutscher Unterstützung.
Ja, es ist ein Genozid - alle von der UN-Völkermordkonvention definierten Kriterien sind klar erfüllt. Doch Deutschland steht nach wie vor an der Seite Israels, oder vielmehr an der Seite der israelischen Regierung und versucht, diese Haltung mit der historischen Verantwortung zu rechtfertigen - doch Deutschland hat sich nicht an einem Staat, nämlich Israel, schuldig gemacht, sondern an den Juden, sowie auch an vielen anderen Opfergruppen, die im Geschichtsbewusstsein Deutschlands aber keine Rolle mehr zu spielen scheinen.
Die sogenannte Staatsräson ist eine fixe Idee bar jeglicher rechtlichen Grundlage, wird aber dem faktisch existierenden internationalen Recht übergeordnet. Statt sich an geltendes deutsches und internationales Recht zu halten und dieses aktiv umzusetzen, wird hier in Deutschland gegen jeden vorgegangen, der es wagt, die mehr als berechtigte Kritik an Israels Vorgehen und der deutschen Beteiligung zu üben. Es ist ein politisches Klima der Repression entstanden, das kritische Menschen einschüchtert und kriminalisiert. Letztes Jahr wurde der 75. Jahrestag des deutschen Grundgesetzes groß gefeiert - doch heute wird es wie kaum zuvor in der Nachkriegszeit von Politikern missachtet.
Seit Jahren ist hier in Deutschland ein äußerst bedenkliches, repressives Vorgehen der Politik gegenüber israelkritischen Stimmen zu sehen. Um eine pro-israelische, zionistische Agenda durchzusetzen, missbrauchen Politiker den Begriff “Antisemitismus” und machen mit dieser Diffamierung auch vor jüdischen bzw. israelischen Kritikern keinen Halt. Dabei wurde das Grundgesetz zum Schutz der Bürger vor genau solchen Übergriffen seitens der politischen Ebene verfasst.
Meinungsfreiheit zum Beispiel ist eines der höchsten demokratischen Güter. Doch zugunsten der Politik Israels wird den Menschen das in der Verfassung verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit entzogen. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht nur das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung, sondern auch das Recht, sich freiheitlich eine Meinung bilden zu können; mit permanenten Zensuren missachtet der Staat somit das Recht der Gesellschaft, Zugang zu unterschiedlichen Informationen zu bekommen. Und genau dieses Spektrum an Informationen zu gewährleisten, wäre die Aufgabe der politischen Ebene und nicht - so wie sie es jetzt tut - eine bestimmte Meinung und Direktive vorzugeben und mit verfassungswidrigen Repressionen durchzusetzen.
Jeder antizionistische oder einfach gerechtigkeitsbewusste kritische Ansatz gegenber Israel wird als antisemitisch diffamiert. Es sind doch aber die Israelunterstützer, die mit einer regelrechten Obsession alles verteidigen, was Israel macht, weil es sich dabei um Juden handelt - das in sich ist höchst antisemtitisch.
Wenn man den Begriff "Genozid" im Bezug auf Israels Vorgehen in Gaza nicht verwenden darf, weil diese Kritik antisemitisch sei, dann bedeutet das im Umkehrschluß, dass Genozid etwas Jüdisches sei. Es ist aber nichts Jüdisches, Kinder, Männer und Frauen zu entrechten, zu entwürdigen und umzubringen. Es ist nichts Jüdisches, Land eines anderen Volkes zu rauben und die dortige Bevölkerung zu unterdrücken und auszubeuten. Daher KANN die Kritik an solchen Zuständen gar nicht antisemitisch sein.
Statt in den eigenen Reihen wahren Antisemitismus zu bekämpfen, wird hier gegen jeden Israelkritker vorgegangen. Jeder wirkliche Antisemit hingegen braucht sich nur zum “Existenzrecht Israels” zu bekennen, und wird dadurch ein akzeptierter politischer Partner. Das internationale Recht sieht aber kein Existenzrecht für Staaten vor, sondern nur für Individuen. Während die deutsche politische Ebene das fiktive Existenzrecht Israels, gepaart mit der sog. Staatsräson, wie den heiligen Gral vor sich her trägt, tritt sie das tatsächlich existierende Existenzrecht der Palästinenser mit Füßen. Und diese Haltung erstreckt sich über die gesamte politische Landschaft Deutschlands - in diesem Punkt sind sich alle Parteien einig.
Genauso wird das Recht auf Versammlung in höchstem Maße eingeschränkt. Das extrem brutale Vorgehen der Polizei gegen Palästinaunterstützer soll dazu führen, dass Menschen sich gar nicht erst trauen, ihr Recht zu demonstrieren wahrzunehmen und für die Rechte der Palästinenser auf die Straße zu gehen. Die Polizei wird zur bloßen Miliz zur Durchsetzung der pro-israelischen Agenda gemacht. Das ist in höchstem Maße beängstigend - gerade im Hinblick auf die deutsche Geschichte. Mit Gewalt Angst zu schüren zugunsten einer politischen Idee, nennt man Terrorismus!
Man kann sich nicht solcher Maßnahmen bedienen und behaupten, sie dienten dem Kampf gegen Antisemitismus. Im Gegenteil, genau mit diesen Repressionen wird eine antisemitismusfördernde Atmosphäre geschaffen. Denn es entsteht in der Bevölkerung der Eindruck, dass zugunsten der Juden, die Grundrechte der Bürger beschnitten werden.
Doch ist es vielmehr eine unfassbare Schande, wie das Gedenken an die Opfer der Shoa für eine pro-israelische Agenda missbraucht wird.
Meine von den Nazis ermordeten Familienangehörigen würden sich im Grab umdrehen (wenn sie denn eines hätten), würden sie mitbekommen, für welch unmenschliche Politik heute der Holocaust als Rechtfertigung herhalten muss. Ein Völkermord kann doch kein Freibrief für den nächsten sein! “Nie wieder heißt: Nie wieder für alle und überall”!
Wer keine Empathie für die Palästinenser in Gaza verspürt, wer ihr unendliches Leid für gerechtfertigt hält, wem nicht das Herz zerbricht angesichts der rund 18.000 getöteten Kindern und ca. 17.000 weiteren Kindern, die ohne jegliche Familie in Gaza zurecht kommen müssen, hat nichts, aber auch gar nichts aus dem Holocaust gelernt!
Es ist beängstigend, mit welcher Selbstverständlichkeit es für richtig gehalten wird, dass Menschen einfach zu Terroristen erklärt und somit zum Abschuss freigegeben werden - noch dazu ohne stichhaltige Beweise für diese Anschuldigungen. Rechtsstaatlichkeit scheint passé zu sein.
Statt sich für die fehlende Menschlichkeit, das fehlende Gerechtigkeits- und Geschichtsbewusstsein zu schämen, wird hier eine verfassungswidrige Resolution nach der anderen beschlossen und, egal wie verfassungswidrig, gegen Bürger eingesetzt.
Es muss Schluss sein mit den permanenten Diffamierungen gegen Menschen, die von der Regierungslinie abweichen:
Hier wird ja mittlerweile jeder Kritiker der Politik gegenüber der Ukraine als Putinversteher beschimpft, jeder Unterstützer der Rechte der Palästinenser als Hamasunterstützer diffamiert und jeder Antizionist bzw. Israelkritiker zum Antisemiten gemacht!
In der deutschen Politik hat sich eine Mentalität breit gemacht, die auf Konfrontation bzw. Krieg setzt und Diplomatie als Schwäche ansieht. Sätze wie etwa der von Außenministerin Baerbock: “Wir zwingen die Russen in die Knie, bis sie nicht mehr aufstehen können” sind des Amtes der ranghöchsten Diplomatin Deutschlands einfach nur unwürdig! Diese politische Linie verschärft Konflikte, statt Lösungsansätze auch nur zuzulassen.
Auch der jetzige Wahlkampf der Parteien zur kommenden Bundestagswahl ist einfach nur beschämend! Statt das eigene Versagen einzugestehen, werden Migranten und Schutzsuchende zu Sündenböcken gemacht und politische Forderungen nach Ausweitung repressiver Machtbefugnisse des Staates immer lauter. Auch hier zeigt sich, wie wenig Geschichtsbewusstsein in der Politik vorhanden ist.
Um sich für Frieden, d.h. für wirklich gerechte Lösungsansätze einzusetzen, muss man nicht links oder sonst was sein - sondern einfach nur Mensch. Man sollte sich die Goldene Regel des Talmuds zum Prinzip machen: “Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu!”.
Es gibt aber trotzdem noch Hoffnung! Es gibt auch heute noch Menschen, die das Erbe der Weißen Rose sehr ernst nehmen und sich nicht scheuen, ihre eigene Freiheit für den Kampf für Gerechtigkeit und Menschlichkeit aufs Spiel zu setzen. Einer von ihnen ist mein guter Freund Ronnie Barkan, ein israelischer Dissident und Aktivist, der auch ein paar Worte an Sie richten wird.
Vielen Dank!