Ja, das Gesetz boykottieren!

von Ilana Hammermann

Infolge des Beitrages von Dimitry Shovisky in Haharetz vom 19.3.2017 (Das Boykottgesetz boykottieren), füge ich meine Stimme zu seinem Aufruf hinzu und schlage vor, es als Aktion zum 50. Jahrestag der Besatzung auszurufen. Die Menschenrechtsorganisationen und die Friedensbewegung in Israel sollten zusammengehen, sie und alle Israelis, denen das physische und moralische Schicksal Israels wichtig und teuer ist. Israels Bürger sollten Mut haben und sich an die internationale Gemeinschaft mit folgendem Aufruf wenden:

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Wir, hunderttausende Bürger Israels, wenden uns an die internationale Gemeinschaft und fordern, Israel mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen zu bestrafen, um es zu zwingen, seine Bürger von den Gebieten, die 1967 erobert wurden, zurückzuziehen. Wir gehen diesen Schritt mit Schmerzen, aber auch aus Liebe zu unserem Land und einer immer größer werdenden Angst, nicht nur um seine moralische Erscheinung, sondern auch um seine Zukunft und seine Existenz – aber auch unserer eigenen Existenz. 

Die internationale Gemeinschaft spricht von der Zwei-Staaten-Lösung, die in Frieden und Sicherheit Seite an Seite leben sollen: ein jüdischer Staat und ein palästinensischer Staat. Aber der israelische Staat vereitelt diese Lösung und macht sie unmöglich. Während 50 Jahre des Militärregimes in der Westbank, hat Israel sich in direkten und indirekten Wege über das Land ausgebreitet (inklusiv Ostjerusalem, das sich heute von Ramallah bis Bethlehem erstreckt) und hat dort ca. 600 000 israelische Bürger in hunderten von Siedlungen angesiedelt. Israel liefert diesen Siedlungen eine komplette Infrastruktur von Straßen, Wasser, Strom, baut dort Krankenhäuser und Schulen, und bietet den Bewohnern die volle israelische Staatsbürgerschaft und alle politischen und gesellschaftlichen Rechte, die der Staat auch seinen Bürgern innerhalb der Grenzen von vor 1967 gewährt. Demgegenüber verkleinert Israel den Lebensraum, die Arbeitsmöglichkeiten und die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung. Es verschließt vor ihnen anhand von Militärerlassen die eigenen Gebiete, indem es große Flächen zu militärischen Sperrgebieten erklärt, zu denen die Palästinenser keinen Zugang haben. Dadurch besetzt Israel privaten Grund und Boden zugunsten seiner eigenen Bürger. Es sperrt die palästinensischen Ortschaften hinter Stacheldraht und Straßensperren ein, zerstört Wohnhäuser und verbietet den Bau von Wohnungen. Israel verhängt über die palästinensische Bevölkerung Kollektivstrafen und hält tausende von Männer, Frauen und Kinder (seit 1967 mehr als eine Million) in Gefängnissen und Konzentrationslager. All das entgegen dem internationalen Recht.

Die israelischen Siedlungen in der Westbank erlauben den palästinensischen Bewohnern keine Möglichkeit der Expansion für eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz. Die Siedlungsblocks und auch die kleinen Siedlungen schaffen Grenzen zwischen dem Süden und dem Norden, dem Osten und dem Westen Palästinas. Sie spalten die Gebiete der sogenannten Autonomie-Verwaltung in unzählige Enklaven und machen damit eine Zwei-Staaten-Lösung unmöglich.

Seit 1967 findet diese israelische Tätigkeit in aller Öffentlichkeit statt. Heute ist sie absolut im Einklang mit der offiziellen politischen Ideologie der Parteien, die die Regierung in Israel bilden, die auch behaupten, dass ganz „Eretz-Israel“ dem jüdischen Volk allein gehört. Mehr noch, die religiös-fundamentalistische Basis, die sich mehr und mehr in den Siedlungen ausbreitet, verwandelt nach und nach den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in einem Konflikt zwischen Juden und Moslems. Diese gefährliche Entwicklung, die schon sehr weit fortgeschritten ist, kann am Ende zu einem Religionskrieg ausarten, der vollkommen außer Kontrolle gerät. Ein solcher Krieg kann die ganze Region auslöschen.

Diese gefährliche Lage ist nicht allein eine Sache der Israelis, sondern auch die Sache der internationalen Gemeinschaft, ganz besonders aber die Sache der Europäer. Und in der Tat haben die Institutionen der internationalen Gemeinschaft im Laufe der Jahre und Jahrzehnte viele Entscheidungen getroffen, um diese gefährliche Situation zu stoppen. Aber keine dieser Entscheidungen wurde von Israel akzeptiert und schon gar nicht eingehalten. Am 23. Dezember 2016 hat der Sicherheitsrat der UNO die letzte Resolution verabschiedet, die Resolution Nummer 2334, die unter anderem Folgendes besagt:

  • Die Errichtung von Siedlungen durch Israel seit 1967 hat keine politische Relevanz und sie bedeutet eine eindeutige Verletzung des internationalen Rechts und ein wesentliches Hindernis für eine gerechte und friedliche Lösung.
  • Israel muss sofort und endgültig damit aufhören Siedlungen, auf palästinensischen Gebiet zu bauen und zu erweitern.

Aber auch diese Resolution war ein „zahnloser Tiger“ wie alle davor, weil keine Schritte und Möglichkeiten für Zwangsmaßnahmen eingebaut wurden. Und so wurden die Beschlüsse dem Spott preisgegeben.

Aus diesen Gründen und weil wir uns Sorgen machen, wenden wir uns an die internationale Gemeinschaft, weil diese verantwortlich ist dafür, dass Israel die Beschlüsse akzeptiert und honoriert.

Wir wenden uns an die internationale Gemeinschaft, weil wir – alle Israelis, die in Israel leben – hier leben wollen, in Frieden an der Seite unserer palästinensischen Nachbarn. Leben und leben lassen. Unsere Regierung aber hat den Weg des Krieges gewählt. Nie waren die Dinge so klar wie heute. Denn wenn es in dieser Region nicht zum Frieden kommt, wird es hier bald kein Leben mehr geben – nicht für die Palästinenser und nicht für uns.

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Im Übrigen: Ich stelle Sicherheitsminister Gilad Erdan meine persönlichen Daten zur Verfügung, falls er mich auf der Basis der neuen Gesetze verfolgen, verhaften und verurteilen kann: Ich bin 1944 geboren, bin israelische Staatsbürgerin und wohne in Jerusalem. Ich bin nicht aktiv bei BDS, auch wenn ich mit meiner israelischen Stimme – von innen und nicht von außen – dazu aufrufe, Israel zu boykottieren, um es zu zwingen seine Politik zu überdenken und zu ändern. Mein Kampf ist nicht gegen Israel, sondern gegen seine Politik gerichtet. Noch ist das demokratische Gesetz nicht erfunden und geboren, das einem Volk verbietet, für seine humanistischen und universalen Rechte zu kämpfen.

Im Namen des Lebens, gegen einen fundamentalistischen religiösen Staat, gegen Nationalismus und Rassismus, wenn unser Leben hier nicht moralisch und physisch scheitern soll.

Ursprünglich veröffentlicht auf "Der Semit": http://der-semit.de/ja-das-gesetz-boykottieren/