Bereits seit längerer Zeit sehen wir uns als Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München einer zunehmend vehementen Kampagne gegen unser politisches Engagement ausgesetzt, die jetzt in Form des im Titel erwähnten Antrages eine ultimative Zuspitzung erfährt.
Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München hat sich im Jahre 1985 gegründet. Zunächst als rein informelle Zusammenkunft, erwachsen aus dem Bedürfnis, den jeweils Anderen kennen zu lernen, seine Geschichten, sein Leben und sein Leiden zu verstehen, getreu dem Diktum Martin Bubers: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Aus diesem Selbstverständnis und dieser Ethik heraus, konnte es nicht bei informellen Abendessen bleiben und so bildeten sich politische Positionen heraus und es entstand das Bedürfnis diese in die Öffentlichkeit zu tragen.
Seit vielen Jahren, bzw. Jahrzehnten sind die einzelnen Mitglieder der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München auch außerhalb der Gruppe für Menschenrechte und gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenrechtsverletzungen aktiv. (Wir erleben, dasses leider nicht stimmt, dass ‚„klassische“ antisemitische Argumentationsmuster an Bedeutung verlieren‘. Die Akzeptanz von Rassismus und Antisemitismus auch in klassischer Form in unserer Gesellschaft wächst besorgniserregend.) Wir sind auch bewusst in die Arbeit mit jungen Menschen zu diesen Themen involviert.
Unser Selbstverständnis und unsere politischen Positionen kann jeder, den es interessiert, auf unserer Webseite nachlesen. Letztlich lassen sie sich aber trefflich wie folgt zusammenfassen: Dass in Israel und Palästina zwei Völker zusammenleben, aber nicht mit gleichen Rechten für alle, können und wollen wir nicht akzeptieren. Als Grundlagen unseres Handelns erachten wir hierbei die Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz.
Und ja, wir haben uns im Kontext unseres politischen Handelns dafür entschieden, den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft zum Boykott Israels, zum Investitionsabzug aus Israel und zu Sanktionen gegenüber Israel mitzutragen. Die BDS-Bewegung war und ist in unserem Kreis Gegenstand kontroverser Debatten. Manchmal sehen wir Fehlentwicklungen, manchmal hören und sehen wir Dinge denen wir nicht zustimmen. Dementsprechend wollen wir auch unsere Arbeit nicht auf dieses Label reduziert wissen. Dennoch sind wir uns in einer Sache einig: Auch und vor allem aus der Erfahrung eines „Friedensprozesses“ der zu keinem Zeitpunkt das ihm zugrunde liegende Kernproblem reflektiert hat, nämlich, dass das Ungleichgewicht der Macht der Konfliktparteien Verhandlungen auf Augenhöhe prinzipiell nicht zulässt, haben wir einen Schluss gezogen, dass einzig politischer Druck, sowohl von staatlicher Seite, wie auch als Mittel friedlichen zivilgesellschaftlichen Widerstandes, Israel diejenigen Konzessionen abringen wird, auf denen ein Frieden im Nahen Osten aufbauen kann.
Haben wir mit dieser Positionierung die Wahrheit für uns gepachtet? Sicherlich nicht, und im Bewusstsein dessen, laden wir jeden, der willens ist, dazu ein, mit uns darüber zu diskutieren. Hier genau liegt jedoch das Problem.
Im Zuge verschiedenster Kampagnen gegen unsere Gruppe und deren Veranstaltungen, die wir stets als Diskussionsangebote und -foren verstanden, haben wir wiederholt der Stadt München im Allgemeinen, sowie dem Bürgermeister im Speziellen das Angebot gemacht, mit uns ins Gespräch zu kommen. Dies wurde entweder ignoriert oder Termingründe wurden vorgeschoben.
Ähnliches trug sich imMai dieses Jahres zu, alseine Konferenz in der evangelischen Akademie Tutzing, mit Gruppen, die gewaltlosen Widerstand und politische Zusammenarbeit auf Augenhöhe verkörpern, kurzfristig und ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen, abgesagt wurde.
Im Umfeld der Diskussion über diese Absage in der Öffentlichkeit wurde unsere Sprecherin, Frau Judith Bernstein, zum Teil auf unglaublich niederträchtige Art und Weise diffamiert. Sie hatte die Einladung von Gruppen angestrengt, die sich in Israel und Palästina gleichberechtigt und gemeinsam für den Frieden engagieren.
Dazu schreibt zum Beispiel die Martin-Niemöller-Stiftung, es sei hier eine Chance vertan, ein wichtiges Thema in evangelischer Freiheit und zugleich Verantwortung öffentlich diskutieren zu lassen.
Ausgeladene Referenten zu dieser Tagung schrieben an Landesbischof Hr. Bedford-Strom und Akademiedirektor Hr. Hahn: „Wir sind nicht alle derselben politischen Meinung, wissen aber, dass der Weg zur Lösung nur über offene Diskussion führen kann“ , und „Dass eine deutsche evangelische Akademie in einem Land, dessen Verfassung die Meinungsfreiheit fest verankert hat, daran teilnimmt, die Meinungsfreiheit von Friedensbewegten aus dem Nahen Osten zu verletzen, bestürzt uns“.
Dass die Landeshauptstadt München solidarisch zu Israel und seinem Recht auf Existenz steht wollen wir ihr nicht nehmen. Auch für viele aus unseren Reihen war oder ist Israel/Palästina Heimat. Auch liegt es uns fern irgendjemanden oder irgendetwas sein „Recht auf Existenz“ abzusprechen. Und wir wüssten auch nicht, an welcher Stelle die BDS-Kampagne dies täte.
Ebenso erscheint uns unklar, inwiefern die Aussage, dass der Staat Israel „größtenteils auf Land gegründet [wurde] das zuvor von seinen palästinensischen BesitzerInnen ethnisch gesäubert wurde“ antisemitisch, oder auch nur kontrovers sein soll. In der wissenschaftlichen Literatur zur Thematik ist der Zusammenhang zwischen der Flucht und Vertreibung der Palästinenserinnen und Palästinenser 1948 und der Staatsgründung Israels weitgehend unstrittig. Selbst der aller linken Umtriebe unverdächtige israelische Historiker Benny Morris sagte 2004 in einem Interview mit der Tageszeitung Haaretz: „Without the uprooting of the Palestinians, a Jewish state would not have arisen here.“ - Kein Staat Israel ohne Vertreibung der Palästinenser. Dass sich jedwede Friedenslösung im Nahen Osten dieser historischen Hypothek stellen muss, ist unsere Überzeugung.
Auch wüssten wir nicht, warum der Eintritt für Boykottmaßnahmen gegenüber dem Staat Israel notwendigerweise mit „antisemitischer Stimmungsmache“ einhergehen sollte. Der Boykott richtet sich gegen die Politik eines Staates, nicht gegen dessen jüdische Bürger. Niemand käme auf die absonderliche Idee, Sanktionen gegen irgendeinen anderen Staat auf der Welt, sei es Russland, sei es der Iran, wären gleichzusetzen mit einem rassistisch motivierten Angriff auf dessen Bürger. Und ob gegen diesen oder jenen Staat Strafmaßnahmen in Form von Sanktionen zu verhängen sind, war und ist in all diesen Fällen selbstverständlicher Gegenstand zivilgesellschaftlicher und politischer Debatten. Auf die Gefahr hin uns zu wiederholen: Auch wir würden diese Debatte gern führen, in einem versachlichten Rahmen und als Austausch vernünftiger Argumente zwischen mündigen Bürgern.