Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,
der Rathausumschau sowie der heutigen SZ entnehme ich, dass die Stadtfraktionen von CSU und SPD einen Antrag „Gegen jeden Antisemitismus - Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung“ an Sie gerichtet haben. Mit dem ersten Satz bin ich voll und ganz einverstanden. Aufgrund meiner persönlichen Geschichte fühle ich mich verpflichtet, mich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen und zugleich gegen Antisemitismus zu kämpfen. Meine Eltern, die aus Deutschland fliehen mussten und meine Großeltern, die in Auschwitz umgebracht wurden, sind für mich Antrieb, mich für eine transparente und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema stark zu machen (schon seit vielen Jahren u.a. durch Beratung des Auswärtigen Amtes und Stärkung der zivilen Friedensgruppen). Die BDS-Bewegung als antisemitisch zu bezeichnen entspricht nicht der Wahrheit. Diese Bewegung geht auf das Versagen der Politik zurück. Sie würde sich erübrigen, wenn die europäische und deutsche Israel-Politik auf die Alternative drängte - nämlich auf das Ende der Besatzung und die Gleichstellung der palästinensischen und israelischen Bevölkerung. Allerdings ist BDS mittlerweile zum „Totschlagargument“ geworden, weil man sich dann mit dem eigentlichen Konflikt - der Besatzung - nicht mehr auseinandersetzen muss. Auch hat BDS nichts mit dem Nazi-Aufruf „Kauft nicht bei Juden“ zu tun. Die Juden wurden boykottiert nur weil sie Juden waren, hingegen kann Israel die Besatzung beenden und damit würde auch diese Kampagne enden.Hierzu möchte ich drei sehr prominente israelische Historiker und Journalisten zitieren: Im SZ-Interview mit dem israelischen Historiker Dr. Tom Segev „Bloss nichts Falsches sagen“ äußerte er sich: "Wenn Sie es ablehnen, etwas zu kaufen von einer Farm, die Teil einer systematischen Verletzung von Menschenrechten ist, dann sind Sie nicht nahe bei Antisemiten, die 'Kauft nicht bei Juden‘ sagen". In seinem Vortrag „ 50 years to the occupation - how is it possible?" meinte Gideon Levy, der für die Tageszeitung Haaretz schreibt, dass BDS ein legitimer gewaltloser Widerstandsakt der Palästinenser gegen die Besatzung ist. Und Professor Moshe Zimmermann aus Jerusalem hat bei seinem Vortrag „ Was heißt heute israelfreundlich?“ in München erklärt, dass die BDS-Kampagne von Israel aufgebauscht und als Antisemitismusvorwurf benutzt wird. Seiner Meinung nach dient BDS als Feindbild nachdem mit dem Atomabkommen der Iran nicht mehr als Feindbild herhalten kann.
Im Oktober 2016 hat die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini den Schutz der Meinungs- und Assoziationsfreiheit entsprechend ihrer Grundrechtscharta betont und meinte „Das gilt auch in Bezug auf BDS-Maßnahmen.“
Meine große Sorge ist es, dass solche Anträge, die als Angriff auf die Meinungsfreiheit in Deutschland verstanden werden, letztlich auch wieder eines Tages auf alle Juden in Deutschland zurückfallen werden.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Bernstein