Judith Bernstein: „München: Verleumdung als Prinzip“? Bemerkungen auf der Konferenz „Zur Zeit der Verleumder“ am 10. Februar 2018 in Berlin.

Vor kurzem hat mir ein Münchner Journalist geraten, den Kampf für die Rechte der Palästinenser einzustellen, weil er mich nur Kraft und meine Gesundheit koste. Denn die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch habe einen enormen Einfluss, gegen den ich keine Chance hätte. Ihre Beziehungen in die Stadtspitze und darüber hinaus seien erheblich.

Ihre enorme Medienpräsenz erklärt vielleicht auch die verzerrte Berichterstattung. Knobloch unterhält zur SPD und zur CSU enge Beziehungen. Auch für Christian Ude, den Amtsvorgänger von Dieter Reiter, stand in Loyalität zu ihr, wie er in einem ZEIT-Interview erklärte, als es um die Stolpersteine ging, deren Verlegung auf öffentlichem Grund verboten geblieben ist. Beide Bürgermeister weigerten sich, die Schirmherrschaft über die Palästinatage zu übernehmen, nicht aber die Schirmherrschaft über die Israeltage, als im letzten Jahr die 50 Jahre alte „Vereinigung Jerusalems“ gefeiert wurde.

Die endgültige Zäsur war der 07. November 2015. Damals lud die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe Christoph Glanz ein, die Hintergründe und Ziele der BDS-Bewegung zu erläutern. Die Veranstaltung verlief aufgrund ständiger Störungen im Tumult, so dass der Hausdienst und die Polizei einschreiten mussten. Schon im Vorfeld hatte die Abendzeitung geschrieben: „Es ist einer von vielen Vorträgen, die in den vermieteten Räumen des Gasteigs stattfinden. Nur wenig davon dürfen als antisemitisch bezeichnet werden. Einer aus der 'Reihe Palästina-Israel - Herbst 2015' am Samstag ist es jedoch mit Sicherheit." Und Frau Knobloch wird mit dem Satz zitiert: „Antisemitisch sei es, die Parole ‚Kauft nicht bei Juden‘ als modernisierte Form des Nazijargons in der Forderung ‚Kauft nicht vom Jüdischen Staat!‘.“ Nach dieser Veranstaltung hat der Oberbürgermeister Frau Knobloch zugesagt, keine weiteren Veranstaltungen zu BDS in kommunalen Räumen zuzulassen.

Auf Betreiben der Regionalbischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche, der Israelitischen Kultusgemeinde und des israelischen Konsulats wurde im Mai 2017 eine Tagung in der Ev. Akademie Tutzing, zu der jene Palästinenser und Israelis eingeladen wurden, die noch miteinander kooperieren, mit der Begründung abgesagt, die Tagung sei „nicht ausgewogen“ besetzt. Dies konnte sie auch nicht sein, denn der Konflikt ist nicht ausgewogen – ganz abgesehen davon, dass einschlägige Veranstalter ihrerseits keinen Wert auf Ausgewogenheit legen. Außerdem wurde behauptet, dass eine der Organisatorinnen die BDS-Kampagne unterstütze. Gemeint war ich.

Im Mai 2017 fand im Gasteig eine Veranstaltung mit dem „Haaretz“-Redakteur Gideon Levy statt. Die SZ schrieb: „Kritisch oder antisemitisch? Umstrittener Gast im Gasteig."  Was war Levy vorzuwerfen? Er hatte auf eine Frage aus dem Publikum geantwortet, was er von der international getragenen BDS-Kampagne halte. Wenn es also BDS nicht gäbe, müsste man es erfinden. Ihre Ablehnung ist nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver, das dazu dienen soll, sich nicht mit der israelischen Politik auseinandersetzen zu müssen. Indem man BDS als antisemitisch bezeichnet, soll sich jede politische Diskussion erübrigen.

Auf Betreiben des CSU-Stadtrates Marian Offman, eines führendes Mitglieds der Israelitischen Kultusgemeinde, haben die Fraktionen von CSU und SPD den Antrag eingebracht „Gegen jeden Antisemitismus – Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung". Darin heißt es, dass sich München „gegen die antisemitische BDS-Kampagne stellt und städtische Räume nicht länger den Gegnern der israelischen Regierungspolitik für Veranstaltungen zur Verfügung stellen soll". Der Antrag wurde am 13. Dezember von allen Parteien außer der Linken angenommen. In einer Presseerklärung begrüßte Frau Knobloch das Verbot. Ihr besonderer Dank „gilt den Stadträtinnen und Stadträten, die den Antrag initiiert und ihre Kolleginnen und Kollegen überzeugt haben, diesen mitzutragen".

Die BDS-Bewegung soll verboten werden, doch geleichzeitig wird zum Boykott gegen uns aufgerufen – wie absurd. Anfang Oktober konnte ich einen Vortrag zu meiner Geburtsstadt Jerusalem erst nach einer Einstweiligen Verfügung halten. Während mir Stadtrat Offman vorwarf, dass ich mit meiner politischen Arbeit den Antisemitismus schüre, schrieb Andreas Bausewein, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Erfurt, meinem Mann und mir anlässlich der Preisverleihung „Aufrechter Gang" durch die Humanistische Union am 28. Januar: „Mit Ihrer Arbeit machen Sie anderen Menschen Mut, sich für ein demokratisches Miteinander einzusetzen, die Geschichte einer Stadt wie Erfurt und eines Landes nicht zu vergessen und bestehende Konflikte friedlich zu lösen." Anfang März 1943 wurden meine Großeltern aus Erfurt nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Ich brauche keine Belehrungen.

Im Münchner Rathaus glaubt man anscheinend, mit Verboten den Antisemitismus bekämpfen zu können. Doch das Gegenteil ist der Fall – antijüdische Ressentiments werden damit geschürt. Dies habe ich auch Oberbürgermeister Reiter schriftlich zu erklären versucht, vergebens: Er wertet meine Einwände als Teil einer Verschwörungstheorie. Am 17. Januar schrieb er mir: „Die Vorlage (d.h. der Antrag) instrumentalisiert den Holocaust nicht, sondern reagiert auf eine Kampagne, die den Holocaust für ihre Zwecke in Anspruch nimmt. Der Beschluss trägt damit zu einem respektvollen, toleranten und friedvollen Klima innerhalb der Münchner Stadtgesellschaft bei." Aus seiner Sicht stimmt es – es wird nicht mehr darüber diskutiert. Mehr noch: Der Münchner Stadtspitze entgeht, dass die Shoah ständig von der israelischen Politik für ihre Zwecke eingesetzt wird.

Das jüngste Beispiel in der Skandalkette ist die Preisverleihung der Humanistischen Union „Aufrechter Gang" am 28. Januar. Während uns am 09. November 2014 der Zutritt zur Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht am 09. November 1938 wegen unseres Engagements für die Stolpersteine, wofür wir öffentlich als „Gedenktäter“ diffamiert wurden, und uns für den Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis verwehrt wurde, scheiterten alle Bemühungen, die Preisverleihung in einem städtischen Raum stattfinden zu lassen.

Denn ermutigt durch den Stadtratsbeschluss hat eine Gruppe, die sich „Münchner Bürger gegen Antisemitismus und Israelhass" nennt, an das Filmtheater am Sendlinger Tor mit der Drohung gewandt, die Zusage zurückzuziehen: „Organisieren Sie Veranstaltungen mit der BDS, können Sie ebenso die NPD unterstützen", hieß es in dem Schreiben. Diese Gruppe geht über den Stadtratsbeschluss hinaus und will verhindern, dass Veranstaltungen auch in privaten Räumen stattfinden können, indem sie Gaststätten auffordert, nicht die Türen für „Propaganda- Veranstaltungen zu öffnen".  

Die Angriffe auf meine Person, die so weit gehen zu behaupten, ich sei keine Jüdin, weil ich mich nicht in dem Konsens der Kultusgemeinde und der israelischen Politik füge, werden auf die gesamte moderate Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe übertragen, so dass diese regelrecht in Sippenhaft genommen wird. Wer mich kennt, weiß, dass ich weder aggressiv noch polemisch argumentiere, aber die Sachen beim Namen nenne. Vielleicht macht mich das so gefährlich.  

So wie die westlichen Regierungen der israelischen Politik Narrenfreiheit eingeräumt haben, ist das kommunale Einknicken vor den Kultusgemeinde und ihren Unterstützern ein Signal, dass sie unbestraft jeden diffamieren und mundtot machen können.